rente
: Fatale Mentalität des Aufschiebens

Die Stimmung im Pressesaal des Kanzleramts war eisig. Fast so wie nach dem 11. September, als Gerhard Schröder dort ernste Worte über Krieg und Frieden sprach. Aber es ging ja gestern Nachmittag auch um das wahrscheinlich ernsteste Thema, das die deutsche Nachkriegspolitik kennt. Es ging um die Rente. Und in diesem „Kampf der Generationen“, den manch forscher Leitartikler schon ausgerufen hat, haben die Rentner die gestrige Partie verloren. Gewonnen haben die Jüngeren, deren Beitrag vorerst nicht steigt – und mit ihnen die Grünen, die für dieses Ziel gefochten hatten.

Kommentar von RALPH BOLLMANN

Der gestrige Tag ist ein tiefer Einschnitt in der deutschen Sozialgeschichte. Zum ersten Mal seit Bestehen der Bundesrepublik werden die Renten über einen längeren Zeitraum nicht nur nicht erhöht, sondern wahrscheinlich sogar gesenkt – zunächst durch den vollen Beitrag zur Pflegeversicherung, anschließend durch den ab 2005 neu eingeführten „Nachhaltigkeitsfaktor“.

Durch den neuen Namen nur notdürftig verhüllt, kehrt die Regierung damit zu jenem „demografischen Faktor“ zurück, den sie kurz nach ihrem Wahlsieg 1998 eigens abgeschafft hatte. Die gestrigen Beschlüsse sind auch das Eingeständnis jahrelanger, auch jahrzehntelanger Versäumnisse. Die Rentenversicherung steht heute vor allem deshalb auf der Kippe, weil viel zu lange wider besseres Wissen behauptet wurde, die Renten seien sicher.

Womöglich ist die Regierung aber schon wieder drauf und dran, diesen Fehler zu wiederholen. Die gestrigen Beschlüsse dienen vor allem dem Zweck, das akute Loch in der Rentenversicherung zu stopfen. Dabei schreckt Rot-Grün nicht einmal vor dem neuerlichen Griff in die Schwankungsreserve zurück – eine Maßnahme, die auch beim besten Willen nicht als „nachhaltig“ durchgeht.

Beim Reizthema „Rente mit 67“ kneift der Kanzler dagegen. Dabei ist die Lebensarbeitszeit das eigentliche Zukunftsthema. Wo alle Menschen immer älter werden, müssen auch alle Menschen immer länger arbeiten. Sonst gerät nicht nur die Rentenkasse, sondern auch die Gesellschaft insgesamt aus dem Lot. Jetzt will Schröder – löblich, löblich – zwar den Kampf gegen die Frühverrentung aufnehmen. Doch eine Entscheidung über das gesetzliche Rentenalter, erklärt er, sei „vor 2010 nicht notwendig“. Da ist sie wieder, die fatale Mentalität des Aufschiebens und Verdrängens.