in fußballland
: Sportreporters harte Traumwelt

CHRISTOPH BIERMANN über den Traum eines jeden Fußballreporters – und die Probleme, die darausentstehen können

Es hätte das Paradies für einen Fußballreporter sein können. Man stelle sich vor, während einer Fußball-Europameisterschaft sei man in dem Hotel einquartiert, wo auch die meisten Mannschaften wohnen. Morgens beim Frühstück trifft man auf dem Weg zum Kaffee die Russen, während die Holländer schon Schokolade aufs Brot verstreuseln und die Dänen eifrig übers Müsli hinweg schwatzen. Man zwinkert David Beckham zu, wenn er sich Rührei holt, fragt Luis Figo, ob mit dem Fuß alles in Ordnung ist, und verabredet mit Zinedine Zidane ein kurzes Interview für die Mittagspause. Um diese Zeit hängen nämlich auch die Nationaltrainer in der Lobby ab und freuen sich auf einen Plausch.

Unvorstellbar ist das heutzutage, und mir kam es wie die Mitteilung aus einer untergegangenen Welt vor, als kürzlich ein Kollege davon erzählte, wie er in England bei der Weltmeisterschaft 1966 nach dem Spiel gegen Deutschland in der Kabine der Spanier saß. Drumherum beklagten die großen Suárez, Gento und Sanchiz ihre Niederlage. Sie waren sogar zum Gespräch bereit, nur hätte man dazu schon etwas Spanisch sprechen müssen. Also saß mein Kollege da, schaute, staunte und verstand leider nicht.

Vor zwölf Jahren im Senegal, im Hotel Ngor, vor den Toren der Hauptstadt Dakar an einem netten Sandstrand gelegen, war das primäre Problem jedoch nicht das fremder Sprachen. Anlässlich der Afrikameisterschaft waren dort, abgesehen vom Gastgeber, alle anderen Mannschaften untergebracht und schlurften wirklich beim Frühstück an einem vorbei, denn wir Journalisten wohnten im selben Hotel. Wie gesagt: Das war ein Traum für jeden Fußballreporter, doch gab es eine ganz andere und ganz schön hohe Hürde zu überwinden. Es ist zwar toll, mit Ghanas Fußballlegende Abedi Pelé am Pool zu sitzen, mit Nigerias Stürmergott Rashidi Yekini oder dem sagenumwobenen sambischen Mannschaftskapitän Kalusha Bwalya abends ans Büffet zu schlendern. Blöd ist nur, nicht genau zu wissen, wer eigentlich wer ist unter all diesen großen Namen. Und die Frage, „Excuse me, are you Rabah Madjer?“, das merkt man dann doch ziemlich schnell, verbietet sich.

Außerdem hat man als Europäer in Afrika selbst beim Fußball stets irgendwie mit der Kolonialgeschichte zu tun. Das Geschacher um Spieler hatte damals viel von Sklavenhandel, denn die Vermittler waren windig und schienen Fleisch zu kaufen, keine Menschen. Europäische Trainer verbreiteten dazu seltsam rassekundliche Thesen, nach denen ihre afrikanischen Spieler denen aus Europa aufgrund ganz anderer Muskelstränge im Unterschenkel überlegen seien. In dieser seltsamen Atmosphäre schien sich nicht nur die Frage zu verbieten, wer denn nun wer ist, sondern sogar der Gedanke: „DIE SEHEN ALLE GLEICH AUS.“

Na gut, die Nordafrikaner aus Algerien und Marokko konnte man nicht mit den schüchternen Keniaern und den ruppigen Nigerianern verwechseln. Aber selbst das erleichterte die genauere Identifizierung nur teilweise. Also war schrittweise vorzugehen, mit Nachfragen bei Kollegen oder der Entourage der jeweiligen Nationalteams. Bei den Nigerianern gehörte Chris dazu, der irgendwie fürs nigerianische Fernsehen arbeitete, aber auch für den Nationaltrainer und als Spielervermittler zudem. Etwas windig war auch er, aber zugleich nett und gerne hilfreich, die Spieler beim richtigen Namen zu nennen. Mit Chris konnte man daher irgendwann das „DIE SEHEN ALLE GLEICH AUS“-Tabu durchaus besprechen. Er selber kam sogar darauf, weil er schon in Europa gewesen und bei seinem ersten Besuch völlig in Verwirrung geraten war. Er konnte sich zunächst nämlich nicht merken, wen er schon kennen gelernt hatte und wen nicht – WEIL DIESE WEISSEN ALLE GLEICH AUSSAHEN.

Da mussten wir doch herzlich lachen, und als ich während der letzten Weltmeisterschaft für einige Tage im gleichen Hotel wie die koreanische Nationalmannschaft wohnte, fiel es mir wieder ein. Da ging die Lifttür auf, und vor mir stand Hong Myung Bo. Oder war es doch Hwang Sun Hong? Ich hatte keine Ahnung – und keinerlei schlechtes Gewissen mehr.