Al‘ohol, ich ‘omme!

Hinter den Weinbergen, bei den Zwergen, ist festes Schuhwerk gefragt

Zielstrebig schnüffelt der kleinwüchsige Kerl in jeder Ecke nach dem begehrten Stoff

„Al‘ohol, Al‘ohol, Al‘ohol“, rattert und stottert es monoton in Roberts Kopf. Der Buchstabe k kommt in seinem Verstand oder dem, was er dafür hält, gar nicht vor, aber zielstrebig schnüffelt der kleinwüchsige Kerl in jede Ecke und in alle Richtungen nach dem begehrten Stoff. Bisher wurde er noch nicht fündig, also sucht er sich schwankend einen mühsamen Weg zur nächsten Schutthalde. Beschwerlich bahnt er sich einen Weg, umtorkelt Hindernisse und steigt schließlich mit doch verhältnismäßig sicherem Tritt auf den großen Müllberg, der den Eingang in einen alten Lagerschuppen versperrt.

Beim Durchschlüpfen der nahezu verschlossenen Lücke ist seine kleine Gestalt von Vorteil. Der Ort, an dem Robert sucht, ist von Menschen verlassen. Er ist unwirtlich und gefährlich: ein Geröllberg aus Flaschen, Glasscherben, Steinen, Schutt und verkohlten Laboreinrichtungen. Es sind die Überreste einer alten verfallenen und abgebrannten Fabrikhalle. Es scheint, als schrecke Robert selbst vor billigem Industriefusel nicht zurück, denn Robert kennt nur ein Ziel: seine Suche nach Alkohol erfolgreich zu beenden. Unschlüssig macht er ein paar Schritte, hält seinen Riechkolben in unterschliedliche Richtungen und erschnüffelt endlich Stoff. „Da ist er“, funkt seine Nase, die in der Lage ist, auch nur geringste Mengen Alkohol zu riechen. Mit zielsicherem Eifer gräbt er sich durch den nächsten Dreckhaufen, und Robert erkennt endlich die Ursache des intensiven Alkoholgeruchs: Irgend so ein Idiot ließ eine halb volle Bierflasche stehen. Robert steht jetzt angewidert vor der Flasche und rührt, trotz seiner anfänglich unbändigen Gier, das schale Bier nicht an. Aber wenigstens gibt er Meldung.

„Al‘ohol“, funkt er nach draußen und seine Kumpane vor der Absperrung fallen sich jubelnd in die Arme und klatschen vor Begeisterung in die Hände. Ein paar der Individuen, die sich bisher mit dem Betreten der bizarren Landschaft zurückhielten, machen sich auf die Socken, um nach Robert zu schauen. „Ich habe es immer gewusst, er schafft das“, ruft Herbert seinen Begleitern zu.

Roberts Spuren folgend, erblicken sie ihn, wie er vor der Flasche steht und eigentümlich knackende Laute von sich gibt. Herbert geht jetzt direkt auf Robert zu, hebt ihn tätschelnd hoch, bedeckt seine empfindliche Nase mit einer Schutzhülle aus einem rötlich schimmernden Polymerüberzug – und schaltet ihn ab.

Herbert hatte seinen Roboter mit der elektronischen Schnüffelnase schlicht Robert genannt. Er arbeitet, umringt von Weinbergen, an dem Institut für Informatik und Rechnerarchitektur einer traditionsreichen Universität und verbarg auch die Bierflasche hinter den Schutthaufen, denn der kleine Robert muss in Zukunft große Aufgaben übernehmen. Bei Chemieunfällen darf er zum Beispiel Schnüffeldienste leisten, soll dabei Lecks finden, aus denen gefährliche Gase strömen. Dazu brauchte Robert nicht nur mobiles und festes Schuhwerk, sondern auch eine vollelektronische Nase, wie sie schon in der Nahrungsmittelindustrie eingesetzt wird, wenn das Nachahmen natürlicher Aromen für menschliche Nasen unerträglich ist.

Dabei werden die flüchtigen Alkoholdämpfe mit empfindlichen Metalloxid-Gasdetektoren gemessen. Roberts Schnüffelorgan ist ähnlich der menschlichen Nase konstruiert, sogar die Detektoren sind durch eine Scheidewand und zwei „Nasenlöcher“ getrennt. Trifft Alkohol auf die Sensoren, bekommt Robert die Meldung „Al‘ohol“ in seinen Mikrochip. Damit nicht genug, denn der Roboter muss sich bewegen, und zwar in die Richtung, in der die Alkoholkonzentration größer ist. Ein schwieriges Problem, aber der Tüftler Herbert löste das Problem, indem er die Signale der Elektronase trickreich an den Fortbewegungsapparat koppelte. Robert wandert deshalb maschinensicher auf die Alkoholquelle zu und bleibt vor ihr stehen. Sollten die Dämpfe durch irreguläre Luftströmungen etwas chaotisch umherwehen, verwirrt das Robert kaum. Dann braucht er, nach einigen unschlüssigen Fehltapsern, zur Orientierung eben etwas länger. So gesehen ist Robert ein toller Hecht. Er marschiert auf Befehl furchtlos in alle Gegenden, wo es etwas aufzuspüren gibt, findet mögliche Gefahrenherde und hilft so Unglücke zu verhindern.

Der nächste Schritt, so Herbert, sei übrigens nicht, wie wir Laien erwarten, das Aufspüren von 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin oder noch gefährlicherer Substanzen, sondern die Entwicklung eines Programms, das den Buchstaben k akustisch weniger alkoholgetränkt verarbeitet. Solange Schnüffelrobert lediglich ein betrunkenes „Al‘ohol“ über seine metallischen Lippen bringt, ist er für seriöse Einsätze nicht zu gebrauchen. THOMAS VILGIS