Entlassen werden vor allem Frauen

Bei den Karstadt-Angestellten ist die Stimmung auf dem Nullpunkt. Filialschließungen vor allem im Norden

FRANKFURT/MAIN taz ■ Überall in Deutschland stand die Kundschaft der noch 181 Warenhäuser von Karstadt und der Fachgeschäftsketten des Konzerns gestern Vormittag vor verschlossenen Türen. Auf Betriebsversammlungen informierten Betriebsräte und Geschäftsführungen über die Details des Sanierungsplans. Der sieht den Verkauf oder die Schließung von 92 Kaufhäusern vor. Auch die Mehrzahl der Fachgeschäftsketten wie Sinn Leffers oder Wehmeyer sollen abgestoßen werden.

Zunächst war von 20.000 verlorenen Arbeitsplätzen die Rede, später rechneten Gewerkschaftsvertreter und Betriebsräte sogar mit bis zu 30.000 Stellen, die zur Disposition stünden. Am Montag wollen Betriebsräte und Gewerkschaftsvertreter ein Alternativkonzept zur Rettung vorlegen. Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) erklärte, die Bundesregierung stehe „mit allen Instrumenten, die wir haben, zur Hilfe zur Verfügung“. Die Angelegenheit sei allerdings ein „bedrückender Prozess“

Bei den Beschäftigten war die Empörung groß. In Wiesbaden etwa – dort soll eine von zwei Karstadtfilialen geschlossen werden – berichteten Mitarbeiterinnen nach der Betriebsversammlung, dass die „Stimmung auf dem Nullpunkt angelangt“ sei. Alle Kolleginnen und Kollegen hätten jetzt große Angst vor der Arbeitslosigkeit. Und vor Harz IV. Denn nicht wenige der Angestellten der Kaufhäuser seien schon älter und deshalb wohl schwer vermittelbar.

In Hessen stehen noch zwei weitere Karstadtfilialen in Kassel und in Eschwege auf der Streichliste des Konzernvorstands. In Niedersachsen sollen die Karstadthäuser in Hameln, Peine, Wilhelmshaven, Delmenhorst, Wolfenbüttel, Garbsen, Laatzen und Cuxhaven geschlossen werden. In Schleswig-Holstein stehen nach Gewerkschaftsangaben 7 von 13 Filialen zur Disposition. Und in Hamburg 6 von 14. Allein in Hamburg würden dann rund 1.000 Mitarbeiter entlassen. In Berlin sind 4 bis 6 Häuser mit 500 bis 1.000 Angestellten gefährdet.

Wer bleiben wolle, müsse zudem „zum Lohnverzicht bereit sein“, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft Ver.di in Niedersachsen, Peter Franielczyk. Ver.di sei zwar prinzipiell zu entsprechenden „arbeitsplatzsichernden Tarifverhandlungen“ über Arbeitszeitverlängerungen oder den Verzicht auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld bereit; aber nicht unter den momentanen Bedingungen, so Ver.di-Bundesvorstandsmitglied Franziska Wiethold. Man könne schließlich keine Verhandlungen über einen Beschäftigungspakt führen, wenn gleichzeitig betriebsbedingt gekündigt werde und viele Betriebe ohne Arbeitsplatzsicherung verkauft würden.

Betroffen von der Entlassungswelle sind vor allem Frauen. Denn mehr als 80 Prozent der Karstadt-Angestellten etwa in Berlin sind nach Ver.di-Angaben weiblich. Traditionell ist der Frauenateil in der Branche deutlich höher als in anderen Bereichen. Außerdem sei die gewerkschaftliche Organisation gering – niedrige Löhne sind da leicht durchzusetzen. Zum Beispiel werden alle 440 teilzeitbeschäftigten Frauen in den Karstadt-Callcentern in Mainz und in Köln entlassen. In den Versand- und Kaufhäusern des Konzerns verdienen selbst Angestellte mit Berufsausbildung und mit einer Vollzeitstelle gerade das Notwendigste.

Nach dem aktuellen Tarifvertrag erhält etwa eine Schaufenstergestalterin oder eine Kassiererin nach dem 5. Berufsjahr 1.981 Euro brutto. Ohne Ausbildung bekommt eine angelernte Kraft nach dem 5. Berufsjahr noch 1.331 Euro brutto. Netto also weit unter 1.000 Euro. Das Arbeitslosengeld entspricht dann schon annähernd den Bezügen nach Harz IV.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT