NRW kein sicherer Drittstaat

Zum „Tag des Flüchtlings“ ziehen Flüchtlingspolitiker in Nordrhein-Westfalen eine kritische Bilanz: Geduldete erhalten keine Perspektive, Traumatisierten wird der Zugang zu Therapie verweigert

AUS DÜSSELDORFNATALIE WIESMANN

Als reine Abschottungsmaßnahme bezeichnet die Flüchtlingslobby in Nordrhein-Westfalen die Pläne von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), Flüchtlingslager in Afrika einzurichten. „Das hat mit humanitärer Hilfe nichts zu tun“, sagt Andrea Genten, Vorsitzende des Flüchtlingsrats NRW bei einer Pressekonferenz anlässlich des heutigen „Tag des Flüchtlings“. Trotz sinkender Asylbewerberzahlen versuche man auf diese Weise, mit allen Mitteln die Zahl der Asylsuchenden weiter zu reduzieren. Der deutschen Bevölkerung würde jedoch vermittelt, dass die Flüchtlinge vor Tod und Schlepperbanden geschützt werden müssten.

Die Abschottung ende jedoch nicht bei der Außenpolitik der EU: „Nicht einmal fünf Prozent der Fälle werden anerkannt, obwohl sie aus Krisengebieten wie dem Balkan, der Türkei und dem Irak stammen“, so Genten. Etwa 60.000 Geduldete leben alleine in NRW. Der Abschiebeschutz, der für sie gilt, sei jedoch ständig in Gefahr, sagt Eva Schaeffer vom Psychosozialen Zentrum Düsseldorf. „Die drohende Ausweisung führt bei den Betroffenen zur Stärkung der psychischen Leiden“, berichtet sie aus ihrem Berufsalltag. Doch der Zugang zum Gesundheitswesen beschränke sich auf ein Minimum, Therapie sei für Traumatisierte nur im Ausnahmefall vorgesehen.

Einen Lichtblick sieht die Flüchtlingslobby in der Richtlinie der EU, die bis Februar in den Mitgliedsländern umgesetzt werden muss: Sie fordert einen Mindeststandard an humanen Lebensbedingungen für besonders schutzbedürftige Personen, wie alleinerziehende Frauen, minderjährige Flüchtlinge und Asylsuchende mit Foltererfahrungen. Neben einem eigenen Wohnraum für Flüchtlingsfamilien empfiehlt die EU-Kommission auch psychotherapeutischer Hilfe. „Bisher ist aber nicht Deutschland nichts passiert“, sagt Schaeffer. Das bestätigte 2003 auch das höchste englische Gericht, der High Court, bei der Klage eines Asylbewerbers, der zuvor hierzulande Zuflucht gesucht hatte. „Deutschland sei kein sicherer Drittstaat“, urteilte das Gericht. Weil er Flüchtlingen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz keine therapeutische Hilfe ermögliche.

Doch auch in anderer Hinsicht ist laut Flüchtlingslobby das Leben für nicht anerkannte Asylbewerber ohne Perspektive: Sie erhielten keine Sprachkurse, Jugendliche ohne Aufenthaltstitel könnten keine Ausbildung absolvieren. Bei einer drohenden Abschiebung würde der gesundheitliche Zustand des Betroffenen nur noch dahingehend überprüft, ob jemand „flugfähig“ sei oder nicht.

Sind alle rechtlichen Wege ausgeschöpft, rettet oft nur ein Kirchenasyl vor Abschiebung. Gabriele Spieker, Vorsitzende des ökonomischen Netzwerks „Asyl in der Kirche in NRW“ erhält drei Anfragen pro Woche von asylsuchenden Familien. Die Aufnahmekapazität sei beschränkt: „Wir können nur etwa 20 Familien beherbergen“, bedauert sie.