Bumm statt Kleister

Oh welch nette Operette: Mit Offenbachs „Großherzogin v. Gerolstein“ kam das Musikfest zu einem grandiosen Abschluss – trotz kränkelnder Headliner

Bis auf zwei Meter hat sich der Bauzaun an die „Glocke“ heran geschoben, die draußen ausgelegten roten Teppiche, die dem Start des Musikfestes vor vier Wochen ein gewisses Cannes-Ambiente verleihen sollten, sind zu Reststücken geschrumpft. Entsprechend wachsen die Flächen grob verlegten Kopfsteinpflasters – Bremens baulicher Rückfall ins Mittelalter.

Drinnen dafür: ein grandioser Abschluss des Musikfestes. Eine Operette. Aber was für eine: Marc Minkowski führte die wieder hergestellte ungekürzte Urfassung von Jacques Offenbachs „Grande-Duchesse de Gérolstein“ auf. Ohne Bühnenbild und in sparsamster Ausstattung – was der Spiellust der Akteure um so freieren Lauf ließ. Vorneweg General Bumm, Oberbefehlshaber der Gerolsteiner Truppen, die gehalten sind, zwecks Zerstreuung ihrer Souveränin möglichst viele Kriege zu führen.

Lustig, exzellent gesungen, ein nahtloser Anschluss an den Erfolg Minkowskis und der „Musiciens du Louvre“ auf dem Musikfest 2002, wo die Grenobler einen nicht minder begeisternden Händel-„Cesare“ aufführten.

Dieses Jahr schaffte es Minkowski mit der „Großherzogin“ nicht nur, das ursprünglich im Barockbereich erprobte Prinzip der „historisch informierten Aufführungspraxis“ – inklusive des Einsatzes zeitentsprechender Instrumente – bis zu Offenbach auszudehnen. Hörbar ist auch das Ergebnis seiner Ensemblephilosophie: Selbst ein großes Orchester müsse nach dem Streichquartett-Prinzip funktionieren. Was heißt: Alle agieren eigenverantwortlich und aufeinander hörend, „and do not give the conductor all the dirty work to do“ (Minkowski). Übersetzt in Klang bedeutet das: ungewöhnliche Transparenz und Sensibilität, die selbst dem sonst selten vor Klanggekleister gefeiten Operettengenre neue Qualitäten einflößt.

Das Musikfest hat mit Minkowski als „Artist in Residence“ eine glückliche Hand bewiesen, auch viele der übrigen 23 Konzerte hatten spannende konzeptionelle Ansätze. Pech nur, dass ausgerechnet die Headliner kränkelten – statt Jessye Norman hätte sich ja wirklich auch einer der anderen 628 Mitwirkenden den Fuß verknacksen können.

Trotz ausgefallener beziehungsweise umbesetzter Konzerte, trotz des Zuhörerrückgangs um 5.000 auf 17.000, scheint es keine finanziellen Probleme zu geben. Der öffentliche Anteil von einem Drittel des Gesamtetats (2,47 Millionen Euro) blieb konstant, aber: „Wir hatten dieses Jahr mehr – auch mehr zahlende – Sponsoren“, sagt Intendant Thomas Albert.

Für die „Großherzogin von Gerolstein“ konnte zwar kein einschlägig prädestiniertes Mineralwasser gewonnen werden, der generöse Arbeitgeberverband der Metall- und Elektro-Industrie e.V. („Metall Unterweser“) sorgt im Ausgleich – per Programmheftbeitrag – für Geld- und Gedankenflüsse, beziehungsweise -sprünge: „So wie Jacques Offenbach mit seinem Gespür für den Zeitgeist des Second Empire die ,Opéra Bouffe‘ als neue Form des Musiktheaters etablierte, so braucht auch eine Region immer wieder neue Impulse. Diese gehen in Bremen und Bremerhaven insbesondere von den leistungsfähigen Unternehmen der Metall und Elektoindustrie aus. Mit Flexibilität, Risikobereitschaft und Pioniergeist verhelfen sie vielversprechenden Innovationen zum Durchbruch.“

Das wiederum passt zur großen Gerolsteiner Eröffnungsszene zwischen General Bumm und seinen Truppen. Alle: „Es lebe der General Bumm!“ Bumm: „Es lebe ich!“ Auch das Musikfest ist ziemlich lebendig.

Henning Bleyl