: Auf der Suche nach der besseren Wiesn
Für einen Rundgang übers diesjährige Oktoberfest haben Sie noch 24 Stunden Zeit. Es wird Ihnen dort nicht gefallen. Dabei könnte es doch – zumal wir sagen, wie
VON KLAUS RAAB
Es müsse auch mal gut sein mit Rekorden, hat Münchens Oberbürgermeister Christian Ude am Wiesneröffnungstag gesagt. Doch das ist lange her – zwei Wochen mindestens. Des Weiteren fand Ude damals: Hauptsache, es werde eine friedliche Wiesn! Dann hat er mit nur drei (Einstellung des Rekords!) friedlichen Gewaltschlägen das erste Fass o’zapft. Seine Botschaft: Ob es 5,3 Millionen oder 7 Millionen Oktoberfestbesucher sind, ob es ein Boden- oder ein Chiemsee voller Bier ist, das getrunken wird, ob eine Herde oder ein Großstall voller Ochsen weggeputzt wird – die Wiesn ist auch in diesem Jahr wieder die beste Wiesn, die es je gab! Und nun, da sich das Oktoberfest seinem Ende entgegenneigt, muss man sagen: Stimmt!
Bevor die Festzelte abgebrochen werden, hätten wir aber trotzdem noch ein paar Verbesserungsvorschläge – und empfehlen die sofortige Umsetzung.
(1) HAUPTEINGANG
Nüchtern betrachtet sieht die Theresienwiese von hier aus wie ein betonierter Platz, über den sehr viele angetrunkene Menschen in Lederhosen und Dirndl wanken. Nüchtern betrachtet muss allerdings dazugesagt werden: Wer auf der Wiesn Dirndl oder Lederhosen trägt, ist wahrscheinlich Tourist oder zugereist. Und wer als aufgeklärter Linker gegen pauschalen Antiamerikanismus wettert, sieht sich, falls gegenüber Bayern vorurteilsbehaftet, vor eine ernsthafte Probe gestellt: Ist, nüchtern betrachtet, pauschaler Antibavarianismus so viel besser? Kaum.
Vorschlag zur Güte:Erstens: Wer noch nie dort war, sollte nicht mitreden. Denn nur vor Ort hat man die aussagekräftigere Binnenperspektive auf den unangefochtenen Kulturhegemon aus dem Süden, nach ein paar Maß Bier sogar die doppelte. Zweitens: Die Wiesn darf nicht nüchtern betrachtet werden.
(2) HOFBRÄUZELT
Es kommen Menschen aus aller Welt. Heißt: Die Promillehöchstwerte gehen an die lieben Freunde aus Italien, Indien, Polen, USA, England, Neuseeland, Australien und Bürger des ehemaligen Königreichs Preußen, die historisch beliebtesten Gegenspieler gestandener Bayern.
Vorschlag zur Güte:Im Dienst einer toleranten Gesellschaft muss in den Bierzelten endlich ein Sitzkärtchensystem eingeführt werden. An jedem Tisch müssen Menschen aus mindestens drei Ländern sitzen. Spätestens nach der ersten Maß Bier, aber in jedem Fall vor dem Ausziehen von Bluse oder Wildlederhose, werden Referate über das je eigene Land gehalten. Jeder Teilnehmer muss pro gehörtem Referat mindestens zwei qualifizierte Nachfragen stellen. Das Hofbräuzelt ist besonders geeignet für eine Testphase, denn dieses Zelt ist das Zelt zum Hofbräuhaus. Heißt: Hier betrinken sich Besucher aus aller Welt und Bayern aus dem Umland. Das Zelt ist in diesem Jahr zudem „geschmückt mit einem ganzen Hopfenfeld“. Das ist doch geil. Nächstes Jahr bitte zwei Hopfenfelder.
(3) HACKERFESTZELT
Das Hackerfestzelt ist der so genannte Himmel der Bayern, weil die Zeltdecke wie ein Himmel dekoriert ist. Am Boden der Bayern betrinken sich hier 6.950 Stück gemischtes Publikum.
Vorschlag zur Güte:Wegen des gemischten Publikums wäre ein schickes tschechisches Rot-Weiß-Blau statt des bayerischen Weiß-Blau nur fair und könnte den Himmel des Hackerzelts gastfreundlicher und weltoffener gestalten – nicht zuletzt zur Betonung des guten bayerischen Willens im Rahmen der Sudetendeutschenpolitik gegenüber den Vertreibern.
(4) SERVICEZENTRUM
Auf dem Weg zur Symbolfigur Bavaria stolpert man über das neue Servicezentrum. Das enthält Handys, Schlüssel gefundene Kinder und Geldbeutel. Im Fall des Notfalls (beliebt: Alkoholvergiftung) gibt es hier den Servicefall. Ebenfalls neu ist ein Security Point, der im Rahmen der Aktion „Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen“ zur Bekämpfung der stets vielen Sexualdelikte auf dem Oktoberfest eingerichtet wurde. Das ist schön und gut.
Vorschlag zur Güte:Das Servicezentrum sollte genau in der Mitte des Festplatzes stehen und mit großen Neonschildern versehen werden.
(5) BAVARIA
Die Bavaria ist die Inge Meysel Bayerns. Und eine Statue. Ihr Fuß eignet sich zum Anpinkeln. Das Anpinkeln der Bavaria ist zwar kein bayerisches Initiationsritual, wird aber vor allem von unseren englischsprachigen Freunden sehr gerne ausgeführt. Die Wiesn ist bereits weltoffen genug, dass selbst gestandene Bayern solche fremden Rituale zu übernehmen bereit sind. Außerdem hat man von der Bavaria den Überblick. Von hier sieht die riesige Menge von vor Glück torkelnden Menschen, die auch noch die bayerische Bierwirtschaft ankurbeln, ganz friedlich aus. Die Bavaria ist pfundig.
Vorschlag zur Güte: Es sollten noch schnell vier oder fünf weitere alte Statuen, die schon seit Jahrhunderten auf der Theresienwiese stehen, aufgestellt werden. Denn Tradition ist, was man draus macht. Und aus der Wiesn wird traditionell schon immer mehr draus gemacht.
(6) KÄFERZELT
(Eigentlich: „Käfers Wiesnschenke“) Wenn man alle Gäste von Schickeriawirt Michael Käfer in einen Sack stecken und drauf hauen würde, träfe es immer die Richtigen. Man müsste nur stark hauen, wegen der schlagunempfindlichen Lodenkleidung. Das Käferkundenkloppen wäre eine echte Alternative zum „Hau den Lukas“, auch weil man sich dann sogar den Weg zum „Lukas“ sparen könnte.
Vorschlag zur Güte:Wir empfehlen die Anhebung aller nur möglichen Steuern auf Käferprodukte um mindestens 500 Prozent. Im Gegenzug könnte, als Zugeständnis an das gehobene Publikum, eine Sofa-Lounge die hier gern demonstrierten Standesunterschiede nachdrücklich unterstreichen. An jedem Sofakopfende stellen wir uns dekorative Blumenkübel vor, auch im Sinn einer stilvollen Magenentleerung. Blumen, die nicht gegen sauren Regen resistent sind, wären in diesen Kübeln allerdings fehl am Platz.
(7) LÖWENBRÄUZELT
In der sog. Löwenbräufesthalle sitzen die Fans des Fußballvereins TSV 1860 München. Beliebter Gesang: „Zieht den Bayern die Lederhosen aus!“ Die Löwenbräufesthalle ist der Ort, an dem das auch mal in die Praxis umgesetzt wird. Gut. Man sollte eh nicht immer nur reden, sondern auch mal was tun. Das Wort Genussmittel für Löwenbräubier zu gebrauchen, träfe den Nagel jedoch leider nicht auf den Kopf.
Vorschlag zur Güte:Wir schlagen vor, Löwenbräu umgehend im Spülmittelregal aufzustellen und im Sinn keines Kopfwehs auch hier endlich Bier auszuschenken.
(8) SCHOTTENHAMEL
Hier übte das Publikum in diesem Jahr Stilkritik. Zwar ist Musik auf der Wiesn stets ein Faustschlag ins Geschmackszentrum. Doch im Schottenhamel fand in diesem Jahr eine Revolution statt: Nachdem sich das Publikum in den letzten Jahren den „Anton aus Tirol“, den „Ketchup Song“ und „Ab in den Süden“ als Wiesnhit aufschwatzen ließ, wurde diesmal, kaum war das Fest eröffnet, der vermeintliche Wiesnhit „Dragostea Din Tei“ von O-Zone gespielt, woraufhin das Publikum, nach einer halben Stunde Wiesn noch nicht alkoholisch abgerichtet genug, das Lied ausbuhte. Kurzum: Wir brauchen mehr Schottenhamels! Zum Beispiel dort, wo bislang das Hippodrom stand (siehe „Hippodrom“).
Vorschlag zur Güte:Entfällt.
(9) HIPPODROM
Vorschlag zur Güte: Das Hippodrom muss weg! Eine der größten Unverschämtheiten der Wiesn ist, dass Deutschlands B- bis K-Prominente hier unentwegt ihre gesellschaftliche Relevanz begründen, erneuern oder untermauern, jedenfalls zur Schau stellen dürfen. In diesem Jahr darunter: a) Anke „Ich bin hier privat“ Engelke mit rosa Dirndl und mehr Begleitung als angemeldet (wohlgemerkt „privat“ inmitten von Fotografen und Bild-Reportern, von denen klar ist, dass sie da sind); b) Wolfgang Fierek, der wegen Engelkes zahlreicher Begleitung an einem anderen Tisch sitzen muss und sich in der Boulevardpresse darüber ausheult; c) One-Wiesnhit-Wonder DJ Ötzi, der meint, wenn Engelke schlechte Laune habe, solle sie „doch besser zu Hause bleiben“. Wir empfehlen, das Hippodrom vorzeitig abzureißen und die Herrschaften der Relevantia auf die anderen Zelte zu verteilen. Wenn Engelke saufen gehen will, kann sie das gefälligst privat machen. Im Sinn der Wiesnreform sollte also der Sammelaufmarsch von B-Prominenten unterbunden werden. Ebenso: von langen Lulatschen und weißen Schimmeln.
(10) BIERKRUGSAMMELSTATION
Hier nehmen PolizistInnen den Gästen die geklauten Bierkrüge wieder ab. Beispiel: Polizistin zu Gast: „Ey, der Krug bleibt da!“ Gast zu Polizistin: „You look beautiful.“
Vorschlag zur Güte: Da WiesnpolizistInnen gegen Charme-Offensiven immun sind, tragen Sie den geklauten Krug doch wenigstens nicht einfach in der Hand, bitte.