„Die Politik hinkt hinterher“

Ökonom Dennis Snower beginnt heute seine Präsidentschaft beim Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Er sieht eine neue Fusion aus Nachfrage- und Angebotspolitik

taz: Sie gehen mit der unternehmensfreundlichen Wirtschaftstheorie mitunter hart ins Gericht. Haben Sie den Eindruck, dass die neoklassische Wissenschaftsgemeinde ihre besten Zeiten auch insgesamt hinter sich hat?

Dennis Snower: Die Wissenschaft hat einfach neue Einsichten gewonnen. Der alte Krieg zwischen Keynesianern und Neoklassikern ist nicht mehr relevant für unser Gedankengut. Wir haben jetzt einen neuen Punkt erreicht: Es geht um Nachfrage und Angebot zugleich. Es reicht nicht mehr, entweder den Konsumenten zusätzliches Geld zu geben oder die Bedingungen für die Unternehmen zu verbessern. Man muss beides tun.

Haben uns die Mehrheit der Angebotspolitiker seit Beginn der 1980er-Jahre also zu Unrecht mit ihren Steuersenkungen, Lohnpausen und Liberalisierungen gequält?

In den letzten zwei Jahrzehnten bestand eine Art Ausnahmezustand. Die Keynesianer haben die Nachfrage absolut gesetzt, die Neoklassiker die Angebotsseite.

Praktiziert die rot-grüne Regierung schon die neue Fusion der wirtschaftspolitischen Richtungen, oder ist sie noch dem neoklassischen Mainstream verhaftet?

Wir leben gerade in einer spannenden Zeit, wo es neue Gedanken gibt. Aber die alten Debatten sind noch präsent. Da hinkt die Politik unwillkürlich etwas hinterher.

Eine Ursache der hohen Erwerbslosigkeit in Deutschland liegt in der zu geringen Binnennachfrage. Hat die Bundesregierung an dieser Stelle Nachholbedarf, sollte sie mehr Geld unters Volk bringen, anstatt zu sparen?

Ich halte mehr von modernen Instrumentarien, die Angebote und Nachfrage gleichzeitig ansprechen.

Wie sieht so ein moderner Mechanismus aus?

Ich schlage beispielsweise Beschäftigungsgutscheine vor. Damit könnten Erwerbslose potenziellen Arbeitgebern einen Teil des Arbeitslosengeldes als Lohnkostenzuschuss anbieten. Wo immer Erwerbslosigkeit existiert, gäbe es auf diese Art automatisch die größten Anreize, Leute einzustellen – eine gute Philosophie. Und der Staat verliert dadurch keine Mittel. Im Gegenteil spart er einen Teil des Arbeitslosengeldes.

Deutsche Unternehmen verkaufen ein Drittel ihrer Produkte im Ausland – mit zunehmender Tendenz. Deshalb haben Politik und Wirtschaft ihr Interesse an einer starken Nachfrage der einheimischen Verbraucher teilweise verloren. Kann sich diese Folgewirkung der Globalisierung überhaupt noch einmal umkehren?

Der von Ihnen beschriebene Zusammenhang wirkt, wenn die Wirtschaft auf wackeligen Beinen steht. Andersherum können aber auch durch steigende Exporte in guten Zeiten höhere Einkommen im Inland generiert werden. Es kommt darauf an, wie erfolgreich man ist.

Bisher ist das Kieler Institut dafür bekannt, dass es eher neoklassische Positionen bezieht. Werden Sie andere Akzente setzen?

Es wäre sehr traurig, wenn die Wissenschaft fortschritte und das Kieler Institut nicht mitmachte. Das Institut hat sich immer an den letzten Stand angepasst, und das wird auch weiter der Fall sein.

INTERVIEW: HANNES KOCH