Baumerts Tierleben: KMK im Hamsterrad

Sie bewegt sich, aber kommt sie voran? Pisa-Chef Jürgen Baumert lobt die Kultusministerkonferenz über den grünen Klee. Und streut in seine Hommage radikale Kritik mit ein: Verschlafene Lehrerbildung, stillstehendes Gymnasium, Leistungsdifferenzen

AUS BERLIN CHRISTIAN FÜLLER

Testudo hermanni hermanni heißt das Tier. In deutscher Übersetzung bedeutet das: griechische Landschildkröte. Im politischen Verständnis vieler ist damit die Konferenz der Kultusminister gemeint: Sie bewegt sich nicht gern, und wenn sie es doch tut, dann langsam. Denn die 16 deutschen Kultusminister, so das Vorurteil, haben auf den Pisa-Schock mit demonstrativer Langsamkeit reagiert.

Ein gerechtes Urteil zu fällen über die Kultusminister nach Pisa, war gestern Jürgen Baumert angetreten. Baumert leitete die erste deutsche Pisa-Studie. Kaum einer kann besser als er beurteilen was die Kultusminister unternahmen, um die erheblichen Defizite und die weltweit einmalige soziale Abhängigkeit der deutschen Schülerleistungen zu beheben. Baumerts überraschende Diagnose: Die Kultusministerkonferenz hat seit Pisa eine Meisterleistung vollbracht.

Da raunte es im Audimax der Berliner Humboldt-Universität. In der Pause schüttelten viele mit dem Kopf. Andere schimpften. Warum diese Lobhudelei, diese Anbiederung an die KMK? Das habe der Professor Baumert doch gar nicht nötig. Selbst den anwesenden Kultusministern Doris Ahnen (Präsidentin), Klaus Böger (Berlin), Karin Wolff (Hessen) und Jürgen Schreier (Saarland) dürfte bei so viel Lob nicht ganz wohl gewesen sein. Sie, denen in den letzten Tagen ein leibhaftiger Ministerpräsident mit Auflösung drohte, konnten ihre Nervosität nicht verbergen.

Nein, Baumert meinte es ernst: Die Kultusminister hätten noch am Tag des Bekanntwerdens der Pisa-Resultate im Dezember 2001 sieben Handlungsfelder verabschiedet – „eine vorgreifende prospektive Leistung“. Sie hätten mit dem Bund eine nationale Bildungsberichterstattung begonnen – „eine strategische Entscheidung“. So ging es superlativisch weiter bis zur Leitfrage: Bewegt sich die KMK? Und wie! Die Konferenz habe in den letzten sieben Jahren mehr bewirkt wie in den 20 Jahren zuvor.

Freilich versteckte sich nicht nur in dieser Schlusspointe des Max-Planck-Direktors eine kritische Feststellung: Die KMK weiß, was Stillstand ist. Und wenn man sich den Vortrag des Historikers und Pädagogen Baumert genauer ansieht, finden sich viele Kritikpunkte – sogar radikale.

Baumert streute mindestens vier in seine vermeintliche Hommage an die KMK. 1. Die „Kultusminister drücken sich in der Lehrerbildung“. 2. Das Gymnasium habe seit Ende der 1970er Jahre bis 1997 seinen Schülern keine Lernfortschritte beschert, sondern Rückschritte. 3. Gleich begabte Schüler in Gymnasien und Realschulen entwickeln sich in ihren Lernmilieus weit auseinander. 4. Würde die KMK noch einmal Handlungsfelder als Reaktion auf Pisa beschließen, dann müsste sie die Heterogenität mit aufnehmen, sprich: die Tatsache, dass das Schulwesen die Leistungen von Schülern in wenigen Jahren so weit auseinander treibt.

Mehr konnte sich kein Kritiker erwarten. Denn aus seinem Jubelduktus übersetzt sagte der Pisa-Zauberer Jürgen Baumert an die Adresse der KMK: Mit der Lehrerbildung verschlaft ihr die Zukunft der deutschen Schule. Eure Eliteanstalt Gymnasium funktioniert seit 30 Jahren nicht mehr. Kümmert euch endlich um soziale Abhängigkeit von Schülerleistungen – oder wollt ihr ewig hinnehmen, dass gleich intelligente Realschüler von der Schule gebremst werden?

Das Tier heißt Mesocricetus auratus – Goldhamster. Was Professor Doktor Jürgen Baumert tat, war, die Landschildkröte KMK in einen Hamster zu verwandeln. Niemand würde bestreiten, dass sich ein Hamster im Laufrad bewegt. Aber, so die heimliche Frage: Kommt die KMK auch voran?