heute in bremen
: Eine ganz normale Lesung

In der Stadtbibliothek zeigen die Blinden den Sehenden ihre Schriftwelt

taz: Was wird da heute gelesen, Frau Paul?

Anette Paul, Blinden- und Sehbehindertenverein: Wir lesen verschiedene Texte aus Zeitschriften von Blindenvereinen, aber auch aus dem Stern, den es zumindest ausschnittsweise für Blinde gibt, dazu den Osterspaziergang aus Goethes Faust. Außerdem wird ein Schüler einen Text vom Laptop lesen.

Und das funktioniert wie?

Es gibt dazu eine „Braille-Zeile“, die vor der Tastatur liegt und den Text vom Bildschirm Zeile für Zeile überträgt. Und dann muss man eben weiterschalten, so wie man sonst weiterscrollt.

Louis Braille...

...der Erfinder der Blindenschrift, hatte im Januar seinen 200. Geburtstag. Deswegen gibt es jetzt einen bundesweiten Lesemarathon mit 200 Lesungen. Natürlich vor allem für Sehende.

Waren die Blinden vor Braille Analphabeten?

Es gibt eine Vorläuferschrift, die ein Herr Barbier erfunden hat: Sie war fürs Militär gemacht, damit die Soldaten auch nachts im Dunkeln lesen können. Aber seine Schrift erwies sich als zu kompliziert. Braille hat das weiter entwickelt.

Wie lange dauert es, diese Schrift zu lernen?

Das Problem sind nicht die Buchstaben, die kann man als Kind so schnell lernen wie andere Buchstaben auch. Das Problem ist der Tastsinn, der bei den meisten, vor allem älteren Menschen nicht ausreichend sensibilisiert ist. Deswegen gibt es heute auch ein paar Aktionsmittel, mit denen man selbst ausprobieren kann, Blindenschrift zu ertasten oder auf der Schreibmaschine zu schreiben. Interview: JAN ZIER

17 Uhr, Stadtbibliothek