Harter Junge

Abgeordnete halten Verheugen vor, Berlins Befehlsempfänger zu sein. Was ihn nicht ärgert

AUS BRÜSSELDANIELA WEINGÄRTNER

Als der Kandidat sich auf dem heißen Stuhl niederlässt, Blitzlichtgewitter vor sich, das unerbittliche Hämmerchen des Ausschussvorsitzenden Giles Chichester im Nacken, scheint er einen kurzen Moment der Verunsicherung zu durchleben. „Wenn Sie die Redezeit überschreiten, werde ich klopfen, ungefähr so“, warnt der Brite und funkelt streng über seine Lesebrille hinweg. Wenn die Bewerber für eine neue EU-Kommission vom zuständigen Fachausschuss des Europaparlaments befragt werden, fühlt sich das wohl so an, als träume man wieder einmal schweißgebadet von der Abiturprüfung.

Doch schon in seinen einführenden Worten schüttelt der künftige Industriekommissar Günter Verheugen jede Verzagtheit ab. „Ich bekomme ein starkes Portfolio mit einer starken ordnungspolitischen Funktion. Meine Rolle als Wächter der Wettbewerbsfähigkeit werde ich ernst nehmen“, erklärt er in einer gewinnenden Mischung aus Selbstbewusstsein, Gelassenheit und Charme. „Ich wollte eine neue Herausforderung, fühle mich auch noch jung genug, sie zu bestehen“, sagt er lächelnd.

Schnell wird klar, dass hier einer sitzt, der die komplizierten Abläufe in der Kommission kennt, sich in den vergangenen fünf Jahren einen exzellenten Ruf erwarb und seinen neuen Aufgabenbereich durchgearbeitet hat. Verheugen will der starke Mann in der neuen Kommission werden, ob sie das nun Superkommissar nennen oder Koordinator für Wettbewerbsfragen, ist ihm völlig egal. „In den Ressorts, die ich koordiniere, werde ich künftig alle Maßnahmen daraufhin überprüfen, welche Auswirkungen sie auf den Wettbewerb haben“, sagt er klipp und klar.

Da trifft es sich gut, dass die Kollegen, denen er auf die Finger schauen will, vom Parlament wenig Rückendeckung erhoffen können. Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes erhielt verheerende Zensuren. Der künftige ungarische Energiekommissar wird von den Rechten angefeindet. Sie werfen ihm vor, seine Karriere in der „sowjetischen Kaderschmiede“ begonnen zu haben, wie Werner Langen formuliert. Auch die Grünen sind mit Laszlo Kovacs nicht glücklich. „Was für eine Idee: Da bekommt jemand das Energieportfolio als Übergang in den Ruhestand. Jemand, der in seinem Leben noch nie was mit Energiepolitik zu tun hatte. Und das in einem Moment, wo das Ressort so wichtig ist wie nie. Wir haben keine konjunkturelle Ölkrise, sondern eine strukturelle“, urteilt der Luxemburger Grüne Claude Turmes.

Die Idee, das Umweltressort dem Griechen Stavros Dimas anzuvertrauen, zeigt laut Turmes, welchen Stellenwert Kommissionspräsident Barroso diesen Politikbereichen gibt. „Umwelt und Energie sind keine Ladenhüter, sondern Kernbereiche der kommenden Jahre. Er hat mehrere Kandidaten aufgestellt, die das Parlament provozieren.“

Tatsächlich ist Barrosos Auswahl auf den zweiten Blick nicht so bestechend, wie sie zunächst wirkte. Als gewiefter Taktiker hat er aber dafür gesorgt, dass sich die großen Fraktionen im EU-Parlament in ihren parteipolitischen Loyalitäten gegenseitig blockieren. Denn Stavros Dimas halten auch viele Sozialisten für eine Fehlbesetzung. Sie werden ihn aber durchwinken, wenn auch ihr Parteigänger Kovacs von den Rechten akzeptiert wird.

Bei so vielen lahmen Enten hebt sich Günter Verheugens Auftritt umso positiver ab. Rebecca Harms nimmt ihn hart ins Gebet: „Ich höre eine Unwucht bei Ihnen heraus zugunsten der harten Ziele. Weltspitze bei Rüstung und Raumfahrt – ist das für Sie nachhaltige Entwicklung?“ Verheugen kontert gelassen, der Gegensatz zwischen Wachstum und Umweltinteressen sei „dummes Zeug: Erfahrungen zeigen, dass durch Umweltschutz Wachstum und Arbeitsplätze entstehen“.

Auch Werner Langen schenkt dem Noch-Erweiterungskommissar nichts. Bei seiner Vertrauenserklärung zugunsten der Türkei habe er die Kommission vor vollendete Tatsachen gestellt. Was er denn vom Urteil seines holländischen Kollegen Frits Bolkestein halte, er sei „das Vollzugsorgan Berlins in der Kommission“. Verheugen antwortet vergnügt: „Ich habe im Spiegel gelesen, dass mich Herr Bolkestein den Pudel Berlins genannt hat. Pudel sind besonders intelligente, manche sagen sogar besonders schöne Tiere.“

Neben solcherart Geplänkel hat der Kandidat aus Deutschland auch ein paar konkrete politische Vorschläge auf Lager. Aus hunderten von zerfaserten Einzelmaßnahmen bestehe derzeit die so genannte Lissabon-Strategie. Vor fünf Jahren beschlossen die Regierungschefs, Europa innerhalb von zehn Jahren zum wettbewerbsstärksten Wirtschaftsraum der Erde zu machen. Wie man heute weiß, war diese Selbstverpflichtung voreilig. Verheugen will dem Kind nun einen neuen Namen geben. Schon auf dem kommenden Frühjahrsgipfel will er den Staatschefs ein griffiges Konzept vorlegen, das sich auf wenige Maßnahmen und klare Etappenziele beschränkt.

„Die Auswirkung solcher Wirtschaftsbeschlüsse wird in alle Richtungen geprüft, für den Arbeitsmarkt und natürlich auch für die Umwelt; damit mich Frau Harms nicht wieder so kritisch anschaut.“ Der Kandidat zwinkert hinter seinen dicken Brillengläsern und wirkt ziemlich zufrieden mit sich. Kann er auch sein.