Weiche Lady

Abgeordnete fordern, Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes ein anderes Ressort zuzuteilen

AUS BRÜSSELDANIELA WEINGÄRTNER

Sollte öffentliche Aufmerksamkeit ein Indikator für politische Bedeutung sein, wäre die Niederländerin Neelie Kroes der Shooting-Star unter den neuen EU-Kommissaren. Als sie dem Wirtschafts- und Währungsaus-schuss am Dienstag Rede und Antwort stehen sollte, schubsten und drängten sich Journalisten und Kameraleute durch die schmale Türöffnung, um einen der Zuschauerplätze zu ergattern. Die negative Pressekampagne der vergangenen Wochen hatte bei der 63-Jährigen deutliche Spuren hinterlassen: Mit rot geränderten Augen, fahrig und unruhig, erwartete sie die Fragen, die ihr offensichtlich schlaflose Nächte bereitet hatten.

Bei ihrer Gegenspielerin für diesen Tag, der sozialistischen Ausschussvorsitzenden Pervenche Beres, schienen die Nerven ebenfalls bloßzuliegen. Mit schriller Stimme erklärte sie: „Ich bin von der Presse falsch zitiert worden. Niemand wird hier gegrillt. Wir prüfen die Eignung der Kandidatin für das Amt der Wettbewerbskommissarin unvoreingenommen!“

Als das Personalpaket des neuen Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso Mitte August bekannt geworden war, hatte man ihn zunächst für die Idee gelobt, eine Frau aus einem kleinen Mitgliedsland für den härtesten Job im Team vorzusehen – den der Wettbewerbskommissarin. Sie wird Schwergewichten wie Microsoft und Alstom genauso die Stirn bieten müssen wie Paris oder Berlin, wenn sie wieder einmal versuchen, die heimische Wirtschaft zu päppeln. Ihre Vergangenheit als Aufsichtsrätin führender Industrieunternehmen wurde als Erfahrungsvorsprung positiv gewertet, zumal sie nun alle Posten aufgegeben und ihre Aktien verkauft hat.

Seit aber bekannt ist, dass sie zuletzt in zwölf Aufsichtsräten saß, zu denen der schwedische Autokonzern Volvo und das Telekom-Unternehmen MMO2 gehören, wird immer lauter über ihre mögliche Befangenheit nachgedacht. Ob sie nicht zu viele gute Freunde in der Wirtschaft habe, wurde sie gefragt. „Ich habe nur sehr wenige Freunde und sie nehmen in dem Maß ab, wie meine beruflichen Aktivitäten zunehmen“, antwortete Kroes. Ob sie nicht zu viel Insiderkenntnis habe, um über Fragen wie Zusammenschlüsse von Firmen und Kartellabsprachen zu entscheiden, wollte ein anderer wissen. „Das hat mir nun wirklich noch niemand vorgeworfen, dass ich zu viel weiß“, versuchte sie es mit einem Scherz.

Als die Abgeordneten nach drei Stunden den Saal verließen, hatte Kroes wieder ein paar Freunde verloren. Außer Allgemeinplätzen wie „Wir sind alle Konsumenten“ oder „Sensible Liberalisierung kann die Standards bei sozialen Leistungen verbessern“ hatte sie nichts zu bieten. Das Dossier der Dienstleistungsrichtlinie, die in den kommenden Jahren für Sprengstoff zwischen Kommission und Parlament sorgen wird, scheint sie nicht zu kennen. In ihrer Ehre gekränkte Kommissionsmitarbeiter beteuerten hinter vorgehaltener Hand, es habe nicht an ihnen gelegen, sie hätten die Kandidatin bestens präpariert.

Die Holländer halten die Neoliberale, die sie Nickel-Neelie nennen, für ihre heimische Version von der Eisernen Lady. Im Ausschuss provozierte sie die Frage, ob sie auch hart genug sei für den künftigen Job. Wer sie dort erlebte, mal zaghaft, mal trotzig, in mittelmäßigem Englisch um Worte ringend, konnte daran seine Zweifel haben.

Bis auf die Liberalen, für die Kroes zur politischen Familie gehört, äußerten hinterher Ausschussmitglieder aller Fraktionen deutliche Vorbehalte. Der konservative Abgeordnete Werner Langen sagte der taz: „Sie hat ja außer in der Pharmaindustrie praktisch überall Aufsichtsratsposten gehabt. Als Fraktion stützen wir Barroso, deshalb ist es für uns eine heikle Sache. Aber er muss einigen Kandidaten andere Ressorts zuordnen.“ Eine Idee, für die sich auch die Sozialisten und vor allem die Grünen zu erwärmen schienen. Umso verblüffender der Brief, den der Ausschuss wenig später an den Parlamentspräsidenten verfasste. Darin steht, dass eine Mehrheit die Kandidatur von Kroes als Wettbewerbskommissarin ohne Einschränkung unterstützt.

„Bei uns stand es auf der Kippe, aus Gründen der politischen Rücksichtnahme haben wir sie am Ende durchgewunken. Sie müssen die Sozialisten fragen, was die bewogen hat, den Brief so zu formulieren“, sagt Werner Langen hinterher. Doch Ausschusskollege Bernhard Rapkay hatte eine einfache Erklärung parat: „Das ist das Problem, wenn sich unterschiedliche Fraktionen auf einen Brief einigen müssen. Ich will ja so einer Frau nicht unfair gegenüber sein. In den Tagen vorher ist in der Presse der Eindruck erweckt worden, dass sie bei den Sozis auf der Abschussliste steht. Deshalb mussten wir vorsichtig sein. Natürlich war sie fachlich schwach.“

„Wenn die Presse dabei ist, wird hier immer groß mit dem Säbel gerasselt“, sagt das grüne Ausschussmitglied Claude Turmes lakonisch. „Die beiden großen Parteien bauen ein gegenseitiges Drohpotenzial auf. Die Konservativen werden den designierten Energiekommissar Laszlo Kovacs angreifen, der ein Sozialist ist. Dafür stellen die Sozialisten Umweltkommissar Stavros Dimas in Frage. Am Ende wird dann auf hoher Ebene ein Deal geschmiedet, über die Köpfe der Abgeordneten in den Fachausschüssen hinweg.“