Der Glückliche

Ein anderer knallharter Realo kommt ihm in der Karriere immer wieder in die Quere: Fritz KuhnKaum jemand kennt die Grünen besser als der erprobte Gremienprofi Bütikofer.Seine Kritiker klagen über „vordemokratische Strukturen“

VON LUKAS WALLRAFF

Er redet nicht gern über das, was vor zwei Jahren gewesen ist. Reinhard Bütikofer spricht lieber über die grüne Gegenwart und Zukunft. Das ist verständlich. Keinem anderen Parteichef geht es momentan so gut wie ihm. Die Grünen eilen von Erfolg zu Erfolg, und er eilt stolz voran. Niemand bezweifelt, dass Bütikofer am Samstag auf dem Parteitag im Amt bestätigt wird. Unangefochten. Bütikofer ist auf dem bisherigen Höhepunkt seiner Karriere. Warum soll er da über den Tiefpunkt sprechen? Versucht man ihn zu drängen, sagt er knapp das Nötigste, damit niemand denkt, er wäre in ein schwarzes Loch gefallen, damals vor zwei Jahren: „Ich hatte ein Angebot. Punkt.“

Bütikofer, 51, ist schon seit dreißig Jahren in der Politik. Er hat früh gelernt, unangenehmen Fragen so weit wie möglich auszuweichen und seine Stärken zu betonen. Das Studium der Philosophie, Geschichte und Sinologie bricht er ab, um sich fortan selbstbewusst „Politiker“ zu nennen. Sein Handwerkszeug holt er sich, wie viele spätere Grünen-Stars, zunächst in maoistischen Hochschulgruppen. Doch das bleibt eine Episode. Im Heidelberger Stadtrat, in den er mit 31 Jahren gewählt wird, wird Bütikofer zum moderat linken Grünen. Seine Strategie im Rathaus beschreibt er heute als „eine Mischung aus Realpolitik und Provokation“. Und er hat Erfolg.

Vier Jahre später zieht er in den baden-württembergischen Landtag ein. Wieder erkennt er schnell, wie er sich profilieren kann: in der Finanzpolitik, um die sich die meisten anderen Grünen bis dahin wenig kümmern. Er arbeitet sich ein. Selbst der CDU-Finanzminister Gerhard Mayer-Vorfelder zollt ihm Respekt. Bütikofer gilt inzwischen als „moderater Realo“ bei den Grünen. Nach der Landtagswahl 1992 hofft er, Fraktionsvorsitzender zu werden. Doch den Job schnappt ihm ein Mann weg, der als „knallharter Realo“ gilt und der ihm später noch häufiger in die Quere kommen wird: Fritz Kuhn.

Diese Niederlage macht ihm schwer zu schaffen. Er sei damals lange deprimiert, ja, depressiv gewesen, sagt ein schwäbischer Wegbegleiter. 1996 steigt Bütikofer aus der Politik aus, um ein Familienjahr einzulegen. Er hat drei Kinder. Doch lange hält er es nicht zu Hause aus. Er meldet sich zurück und wird gleich nach seiner Pause Landeschef in Stuttgart. Auch Rückschläge wie seine gescheiterte Kandidatur fürs Europaparlament halten ihn jetzt nicht mehr auf. Er steckt sie weg. Nach dem rot-grünen Wahlsieg 1998 wird Bütikofer Bundesgeschäftsführer der Grünen.

Damit ist er der Macht schon ziemlich nahe. In der Partei nimmt man ihn, den realistischen Strategen und fleißigen Organisator, ernster als die schwachen Parteichefinnen Antje Radcke und Gunda Röstel. Bis sein alter Rivale aus Baden-Württemberger Tagen wieder auftaucht. Der neue Parteichef Fritz Kuhn tut, gestützt vom allmächtigen Joschka Fischer, alles, um den Einfluss Bütikofers einzuschränken. Im Sommer 2002 wird die Degradierung offensichtlich, als der Geschäftsführer einen externen Wahlkampfmanager vor die Nase gesetzt bekommt. Das schmerzt.

Auch über den erneuten Wahlsieg für Rot-Grün kann er sich nicht freuen. Während die anderen feiern und Regierungsposten aufteilen, schreibt Bütikofer seinen Abschiedsbrief. Er teilt mit, dass er sein Amt als Geschäftsführer auf dem nächsten Parteitag zur Verfügung stellen werde, und dankt allen wichtigen Parteikollegen höflich für die Zusammenarbeit. Nur einen Namen lässt er weg: Fritz Kuhn. Es scheint, als habe er den langen Machtkampf verloren.

Die Medien nehmen von dem Vorgang kaum Notiz. Und die Partei nimmt, jedenfalls öffentlich, klaglos hin, dass einer ihrer klügsten Köpfe abgeschrieben wird. Bütikofer ist am Tiefpunkt, über den er heute nicht gern spricht.

Ob er insgeheim damit gerechnet hat, dass sich das Blatt schnell wenden würde? Auszuschließen ist es nicht, kaum jemand kennt die Grünen besser als der Gremienprofi Bütikofer. Trotzdem wirkt es wie eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet die Traditionalisten bei den Grünen dafür sorgen, dass der gescheiterte Reformer vom Realo-Flügel eine neue Chance bekommt. Auf dem Parteitag, auf dem er eigentlich abtreten soll, wird die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat bekräftigt. Die Bundestagsabgeordneten Fritz Kuhn und Claudia Roth müssen als Parteichefs aufhören. Die grüne Führungscrew um Joschka Fischer ist von der Entwicklung völlig überrascht. Als Nachfolger kommen nur Grüne ohne Mandat in Frage. Eine Nacht lang werden Hinz und Kunz gefragt. Bütikofer erkennt die Gunst der Stunde, er nutzt seinen Vorteil, dass er die Parteigeschäfte kennt, und erhält den Zuschlag. Zusammen mit Angelika Beer übernimmt er den Parteivorsitz.

Anfangs wird in Berlin viel gelästert über dieses neue Duo. Es gilt als Notlösung, das keine Zukunft hat. Beer bestätigt dieses Image und sorgt nur mit einem verunglückten TV-Auftritt für Aufsehen. In der Partei hat sie keinen Rückhalt, weil sie mit den Realos innenpolitisch über Kreuz liegt und ihr andererseits viele linke Grüne immer noch ihre Pro-Kosovo-Krieg-Haltung verübeln. Bütikofers Position als Sprecher des Realo-Mainstreams ist weniger umstritten. Seine Disziplin, sein Wissen und sein Arbeitseifer stehen außer Frage. Doch auch er wirkt bei seinen ersten Pressekonferenzen unbeholfen. Er schwitzt und spricht in Schachtelsätzen, die den Journalisten nicht gefallen, weil sie kaum für Schlagzeilen taugen.

Erst allmählich wird bemerkt, dass sich hier jemand ganz zielstrebig seine innerparteiliche Macht absichert und ausbaut. Bütikofer sucht sich Bündnispartner und schließt einen Pakt mit den Chefinnen der Bundestagsfraktion Krista Sager und Katrin Göring-Eckardt. Alle drei sind neu in ihren Jobs. Alle drei sind sehr pragmatisch orientiert, und alle drei erkennen schnell, dass sie ihre Probezeit nur dann mit Erfolg bestehen werden, wenn sie sich gegenseitig stützen – und wenn sie den grünen Übervater Fischer glücklich machen. Also lassen sie den Außenminister weiter tun und lassen, was er möchte. Innenpolitisch beziehen sie ihn, so weit er möchte, ein. Schnell ist vom „Kleeblatt“ die Rede, das alle wesentlichen Entscheidungen bei den Grünen abklärt und Sprachregelungen festlegt.

„Ich glaube“, sagt Fraktionschefin Sager heute, nach zwei Jahren, „Fraktions- und Parteispitze haben noch nie so gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet.“ Das gefällt aber nicht allen Grünen. Es gibt Kritiker aus der zweiten Reihe, die hinter vorgehaltener Hand „vordemokratische Strukturen“ beklagen. Die sich beschweren, dass Bütikofer eine „unangenehme Herrschaftstechnik“ pflege. Manche fühlen sich von ihm hinters Licht geführt. „Es kommt immer wieder vor, dass Bütikofer sagt, mit X sei alles abgeklärt, und wenn man bei X nachfragt, stellt sich heraus, dass er von gar nichts weiß.“ Diese Vorgehensweise, heißt es, werde sich „noch rächen“. Doch so lange Gegner im Anonymen bleiben, hat Bütikofer wenig zu befürchten.

Die Grünen, die sich öffentlich über seine erste Amtszeit äußern, sind voll des Lobes. Auch der Fraktionslinke Winfried Hermann bescheinigt Bütikofer, „um Integration bemüht“ zu sein und „insgesamt gute Arbeit“ abzuliefern. Ernsthafte Kritik gab es nur einmal in zwei Jahren: als er im Zuwanderungsstreit erst unabgesprochen auf den Tisch schlug („das Spiel ist aus“), um anschließend wieder einzuknicken und zuzulassen, dass Innenminister Otto Schily (SPD) das Gesetz ohne die Grünen ausverhandeln konnte. „Unprofessionell“ nannte das Exfraktionschefin Kerstin Müller. Doch Bütikofer hatte Glück: Das Ergebnis wurde letztlich von fast allen Grünen akzeptiert und „kann sich sehen lassen“, wie er findet.

Im Grunde ist auch der Auftritt gegen Schily nur ein Beispiel, dass Bütikofer schnell gelernt hat, wie er Gehör findet. Bei der Hauptstadtpresse ist er beliebt. Er gibt sich bei Hintergrundgesprächen auskunftsfreudig und beschimpft CDU-Politiker, die von Hartz IV abrücken, als „Weicheier“. So was Schlichtes kommt gut an.

Das grüne Kleeblatt funktioniert. Es profitiert davon, dass die Ökopaxpartei seit dem Streit um den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr von wirklich schwierigen Problemen verschont geblieben ist. In den letzten zwei Jahren läuft fast alles gut. Der Export der Hanauer Plutoniumfabrik wird am Ende doch von Fischer abgewendet. Die Sozialreformen treffen die grüne Klientel scheinbar nicht allzu sehr. Sager und Göring-Eckardt halten die Fraktion geschickt zusammen, indem sie ein paar Korrekturen der Hartz-Gesetze akzeptieren. Bütikofer besänftigt die Parteilinken mit wohlklingenden, aber folgenlosen Parteitagsbeschlüssen zur Einführung der Vermögenssteuer. Ansonsten tut er, was er am besten kann: Er kümmert sich um die mittel- und langfristige Strategie. Er pusht die Bürgerversicherung als populäres Zukunftsthema und erklärt sie zum neuen grünen Großprojekt. Und bei Gelegenheit erwähnt er gern, dass er schon als federführender Autor des neuen Grundsatzprogramms der Grünen 2002 die Idee der Bürgerversicherung auf den Weg gebracht habe. Wie sozial sie ausgestaltet wird, hängt davon ab, ob sich die linken Grünen in Zukunft, vielleicht schon am Wochenende auf dem Parteitag, wieder verstärkt zu Wort melden.

Mit der Rückkehr von Claudia Roth am Samstag sind zumindest die für Bütikofer gemütlichen Zeiten, in denen er den Kurs der Partei fast allein bestimmen konnte, vorbei. Er würde sich gern weiter um „ökonomischen Fragen“ kümmern und Roth die Bürger- und Menschenrechte überlassen. Ganz so leicht wird das nicht werden: „Grundsätzlich sind wir beide erst einmal für alles zuständig“, stellt Roth klar. Doch kaum jemand bezweifelt, dass sie sich in das grüne Kleeblatt integrieren lässt. Mit Bütikofer kann sie gut.

Der Chef der Grünen wirkt in diesen Tagen so, als sei er mit sich und seiner Welt im Reinen. Nur manchmal flackert sie doch noch auf, die Erinnerung an früher. „Mit Verlaub“, sagt er, wenn er auf die aktuellen Lobeshymnen über seine Amtsführung angesprochen wird, „ich habe auch vorher schon Parteitage organisiert und nicht die leichtesten.“ Vielleicht, sagt er, sollten die Medien ihre Wahrnehmung manchmal überdenken. Vielleicht sei der Geschäftsführer Bütikofer ja doch nicht ganz so schlecht gewesen, wie man damals fand, und der Parteichef nicht ganz so gut.