american pie
: Betrüger und Versuchskaninchen

Die Enttarnung des Designer-Steroids THG offenbart eine neue Dimension skrupelloser Athletenbetreuung

Vielerorts stellte man sich den ewigen Kampf zwischen Dopern und ihren Jägern in der Vergangenheit gern als eine Art James-Bond-Szenario vor. Auf der einen Seite werkelten die Bösen in ihren hochmodernen Labors an immer neuen Teufeleien, auf der anderen versuchten in ebensolchen Labors die Guten, ihnen auf die Schliche zu kommen. Und natürlich waren die Bösen den Guten immer einen Schritt voraus. In Wirklichkeit betrog der weitaus größte Teil der dopenden Sportler auf sehr konventionelle Art, bediente sich der altbekannten, leicht nachweisbaren Substanzen und versuchte, irgendwie durch die Kontrollen zu schlüpfen. Die finanziellen Mittel für exquisitere und entsprechend teure Drogen besaßen nur relativ wenige Athleten.

Die aktuellen Vorgänge in den USA kommen dem Bond-Szenario allerdings äußerst nahe. Offenbar hatte man bei der Bay Area Laboratory Co-Operative (Balco) im kalifornischen Burlingame tatsächlich systematisch nach Wegen gesucht, die Dopingfahnder gezielt hinters Licht zu führen. Das Designer-Steroid Tetrahydrogestinone (THG), das erst durch den Hinweis eines renommierten Leichtathletiktrainers bekannt wurde, hatte man so konstruiert, dass es bei Dopingkontrollen nicht nachweisbar war und auch nicht ohne weiteres als verbotenes Mittel zu klassifizieren ist. Balco-Chef Victor Conte behauptet, es handle sich weder um ein Steroid, noch stamme es aus seinem Labor.

Offiziell produziert Balco Nahrungsergänzungsmittel, bietet Spitzensportlern aber gleichzeitig eine Art Rundumbetreuung. Urin- und Blutproben werden analysiert, um festzustellen, woran es im Körper des Athleten fehlt. Dann stellt das Labor entsprechende Pakete zur Behebung der Defizite zusammen. Zu den Klienten der Firma gehören nicht nur Leichtathleten, sondern auch prominente Vertreter anderer Sportarten wie Football oder Baseball. Nachdem im September verschiedene Antidrogenbehörden die Räumlichkeiten von Balco durchsucht hatten, sind rund 40 Sportler zu einer Anhörung vorgeladen worden. Darunter zum Beispiel Baseballspieler Jason Giambi, der gerade mit den New York Yankees in der World Series steht. Er habe sich lediglich nach ein paar Nahrungsergänzungsmitteln erkundigt, sagt er, „keine große Sache“.

Mehr ins Detail geht da schon Barry Bonds, der Home-Run-König von den San Francisco Giants. „Ich besuche sie alle drei bis sechs Monate“, erzählt der Baseballspieler, „sie untersuchen mein Blut, um herauszufinden, ob alle Werte in Ordnung sind. Manchmal soll ich mehr Broccoli essen, manchmal muss ich mehr Zink und Magnesium zu mir nehmen.“

Erste Anzeichen, dass sich der Balco-Service nicht auf Broccoli beschränkt, gab es bei der Leichtathletik-WM, als die Sprint-Doppelsiegerin Kelli White mit dem Aufputschmittel Modafinil auffällig wurde. Von einem Balco-Arzt habe sie es wegen ihr Schlafsucht verschrieben bekommen, erklärte sie, was sie nicht vor dem Verlust ihrer Goldmedaillen bewahren wird. Modafinil tauchte jetzt bei den im Zuge des THG-Skandals untersuchten Dopingproben häufiger auf, Schlafsucht scheint also extrem ansteckend zu sein.

Bei der Durchsuchung von Balco sollen nach Informationen von US-Medien diverse verbotene Mittel wie anabole Steroide oder Wachstumshormone gefunden worden sein, das Hauptaugenmerk gilt jedoch THG. Absolutes Teufelszeug, wie Don Catlin findet, der im Dopinglabor von Los Angeles das entsprechende Nachweisverfahren entwickelte. „Es ist furchtbar Besorgnis erregend“, sagte er der New York Times, „dass Athleten sich einfach auf das Wort von irgendjemand verlassen und solche Dinge nehmen, ohne dass diese getestet worden sind.“ Die Sportler sind also nicht nur Betrüger, sondern auch Versuchskaninchen.

Wie lange THG bereits in Gebrauch ist, wagt Catlin nicht zu sagen, „vielleicht Monate oder sogar Jahre“. Mehr Klarheit erhoffen sich die Dopingbekämpfer von den rund 500 Proben, die nach der Entdeckung von THG zum Beispiel bei den US-Meisterschaften der Leichtathletik im Juni genommen wurden. In etlichen konnte das Steroid nachgewiesen werden, Namen sollen erst nach Analyse der B-Proben bekannt gegeben werden. Lediglich der von Kevin Toth sickerte bisher durch. Der habe keine Ahnung gehabt, was sich alles in seinem Balco-Paket befand, teilte der Anwalt des Kugelstoßers schon mal vorsorglich mit.

Die Affäre könnte ein Durchbruch für die Dopingbekämpfung in den USA sein, welcher bislang kaum der Ruf von Effektivität und Entschlossenheit vorauseilte. „Diesmal haben sie keinen Besen, der groß genug ist, es unter den Teppich zu kehren“, sagt Dopingexperte Chuck Yesalis, Professor an der Penn State University. Völlig unklar ist, welche internationale Dimension der Skandal haben könnte. Erkenntnisse darüber wird eine Maßnahme liefern, die der Leichtathletik-Weltverband gestern beschlossen hat: die Untersuchung der rund 400 Dopingproben von der Weltmeisterschaft im August in Paris auf THG. Das große Zittern kann beginnen. MATTI LIESKE