Nachhilfe für Lenin

Torsi und Truck: 13 Tonnen sozialistischer Realismus touren durch Europa und machen Halt in Bremen. Hier soll Lenin lernen, wie der „Turbokapitalismus“ funktioniert

„Wir wollen Lenin nicht reanimieren“, versichert der Kurator vorsorglich – nur belehren. Damit er das 21. Jahrhundert versteht

Lenin ist gefährlich. Als er noch lebte, durfte er Deutschland nur im verplombten Eisenbahnabteil durchqueren, so gefürchtet war das Agitationstalent des Revolutionärs. Selbst aus Stein, die Beine weggehauen, festgezurrt auf einer LKW-Ladefläche, muss man seine Wirkung streng kanalisieren: „Das ist keine ungebrochen positive Darstellung“, betont der Kurator der Kunstaktion gegenüber dem versammelten Volk auf dem Bremer Bahnhofsvorplatz. „Wir wollen Lenin nicht reanimieren.“

Glück gehabt. Die Stadt wird nicht ins bolschewistische Chaos gestürzt, sondern beschränkt sich darauf, norddeutsche Station einer europaweiten Denkmalfahrt zu sein: „Lenin on tour“, initiiert durch den Münchner Konzeptkünstler Rudolf Herz. Der nennt sein Unternehmen eine „Forschungsreise in die postkommunistische Gegenwart“ – von der auch Lenin lernen soll. Dem Gründer der Sowjetunion soll „das 21. Jahrhundert erklärt“ werden, weswegen an jedem Haltepunkt „prominente oder kluge Menschen“ eingeladen sind, entsprechende Vorträge zu halten. In Bremen sprach der allseits umtriebige Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel über den „Turbokapitalismus“. „Wir nehmen Teil an einer überregionalen Nachdenklichkeit“, formulierte Bremens Bürgermeister Henning Scherf zur Begrüßung und Einführung, um dann, bekannt für seinen Fürsorglichkeitsdrang, auch noch den überforderten Wettergott zu geben: „Ich bitte um Entschuldigung, dass es so kalt ist.“

Lenin wird das am wenigsten gestört haben. Vielleicht schon eher, dass die ganze Inszenierung etwas von einer Gefangenenvorführung hat: ein Triumphzug, der römischen Gewohnheit folgend? „Das ist nicht die Absicht des Künstlers“, versichert Kurator Peter Friese vom Neuen Museum Weserburg, das die Aktion als Teil ihrer Erinnerungsreflektionsausstellung „After Images“ versteht (siehe taz vom 11. August). Herz selbst betont die Uneindeutigkeit seines Werkes: „Ich habe es bildsprachlich bewusst offen gehalten.“ Und was sagt der Künstler, der der Herz‘schen Konzeptkunst das Rohmaterial lieferte?

Der mittlerweile greise Grigorij Jastrebenetzkij, ein gern als Vertreter des „stalinistischen Biedermeier“ geschmähter Monumentalbildhauer, lebt in St. Petersburg und hat der Aktion „mit einem lachenden und einem weinenden Auge“ zugestimmt, wie Herz berichtet. Letztendlich habe für Jastrebenetzkij die „Wiedergewinnung von Öffentlichkeit“ gezählt – denn ohne die Aktion würde Lenin weiter auf einem schwäbischen Privatgelände zwischen Madonnenfiguren und Marmorbänken vor sich Hinmoosen. Ursprünglich stand er auf dem Wiener Platz in Dresden, wo er 1991 demontiert wurde. Eigentlich sollten die Granitblöcke als gestürztes Denkmal erhalten bleiben – auch dafür hatte Herz ein Konzept mit dem Titel „Lenins Lager“ parat. Nach einer Anti-„Schanddenkmal“-Kampagne von „Bild Dresden“ knickte der Stadtrat jedoch ein und nahm das Angebot eines schwäbischen Unternehmers an, den Lenin kostenlos zu entsorgen – einen Stalin hatte der Natursteinhändler schon. Allerdings machte er aus seiner Sammlung keinen Jurassic-Parc des Sozialismus, wie er etwa bei Budapest und Vilnius die Touristen anzieht.

Die jetzt realisierte Alternative: Die 13 Tonnen granitener sozialistischer Realismus (Lenin nebst zwei namenlosen Genossen) rollen auf einem sechzehn einhalb Meter langen Sattelschlepper durch die Gegend, was dem Revolutionär (nachdem er in Emir Kusturicas „Schwarze Katze, weißer Kater“ per Kahn verfrachtet und in „Good bye, Lenin“ an einen Helikopter gehängt wurde) immerhin ein neues Transportmedium beschert: Eine motorisierte Form des Rollbretts – des klassischen Fortbewegungsmittels für Veteranen und Versehrte.

Henning Bleyl