Deutliche Fingerzeige

Sie helfen im Amt oder bei Gericht: Gebärdensprachdolmetscher übersetzen für Gehörlose. Doch die Dolmetscher sind selbst in Hamburg rar, wo es einen der wenigen Studiengänge bundesweit gibt

von Tonio Postel

Manchmal reicht schon eine Handbewegung, um in eine andere Welt einzutauchen. Dann werden Töne, Stimmen und Geräusche plötzlich nebensächlich und es regieren Mimik und Gestik. Mit Händen, Fingern und Augen lebhaft beschriebene Zeichen komponieren ihre eigenständige Sprache aus lautlosen Symbolen und Bildern.

Karoline Maier* taucht regelmäßig in diese Welt ein. Seit 2003 ist die 31-Jährige eine von etwa 80 freiberuflichen oder festangestellten Gebärdensprachdolmetschern in Hamburg und gibt Gehörlosen oder Schwerhörigen Ohr und Stimme. Durchschnittlich fünf bis acht Mal die Woche begleitet sie beim Behördengang, übersetzt in Vorlesungen oder Seminaren an der Uni oder auch beim Prozess im Gerichtssaal.

Keine lautlose Welt

„Die Welt der Gehörlosen ist keine lautlose Welt“, stellt Maier klar. „Denn wenn man mit ihnen zusammen ist, ist es nie leise.“ Es werde gelacht, gerufen oder geschrien. „Manchmal“, sagt Maier, „habe ich sogar das Gefühl, mir brummen nach einem längeren Gespräch die Ohren.“ Als besonders anstrengend empfand es die freiberufliche Gebärdendolmetscherin zunächst, sich ausschließlich auf die visuelle Wahrnehmung und Denkweise zu konzentrieren.

Inzwischen ist für sie Gebärdensprache „viel genauer“ als unsere Lautsprache. Beim visulellen Gespräch, so Maier, „werden eingangs Details wie räumliche Verortung, Anzahl der Personen im Raum sowie Namen und Tätigkeiten eingeführt“. Die Sprache arbeitet mit Symbolen (Gebärden), aber es gibt auch ein Finger-Alphabet für Personen-Namen oder Wörter, für die es keine Gebärde gibt. Das Symbol für „Abwaschen“ zum Beispiel ist eine Faust, die über der flachen Hand kreist, „aggressiv“ stellt man mit zu Krallen geformten Fingern dar, die vor dem Körper auf und ab fahren.

Um Maiers Dienste in Anspruch nehmen zu können, müssen die Gehörlosen selbst beim Schreibtelefon des Gehörlosenverbands Hamburg, einer Art Vermittlungszentrale, anrufen. „Manchmal“, so hat es die Dolmetscherin erlebt, „ist aber niemand frei, dann haben sie Pech.“ Besonders in ländlichen Gebieten sei die Versorgung für Gehörlose oft schlecht.

Und nicht nur dort: Es gibt deutschlandweit zu wenig Gebärdensprachdolmetscher, allein in Hamburg „fehlen uns gut hundert“, schätzt Sigmund Prillwitz, Professor am Institut für Deutsche Gebärdensprache (IDGS) der Hamburger Universität. Dabei sei Hamburg noch gut dran: „Wegen unseres Diplom- und Magister-Studiengangs sind wir anderen Städten um zehn Jahre voraus“, sagt Prillwitz. Die Zahl der Haupt- und Nebenfachstudierenden schätzt er auf „300 bis 400“. Insgesamt gebe es in Hamburg und Umgebung „gut 4.500“ Gehörlose, das „Dreifache an Schwerhörigen“ nicht eingerechnet.

Bedarf wäre also ausreichend vorhanden, doch noch muss die Zunft um ihre Anerkennung kämpfen. „Wir werden schlechter als Lautsprach-Dolmetscher bezahlt“, beklagt Karoline Maier. Und auch Dirk Kienscherf, in der Hamburger SPD-Bürgerschaftsfraktion für Behindertenpolitik zuständig, plädiert für eine Image-Verbesserung: „Man müsste eine Öffentlichkeits-Kampagne starten.“ Zudem, so der SPD-Politiker, sei es noch ein „ziemlich junger Beruf“ und die Ausbildungsmöglichkeiten – ein entsprechendes Studium ist in Deutschland nur an wenigen Universitäten und Fachhochschulen möglich – seien begrenzt.

Barrierenabbau per Gesetz

Anika Wichert indes, Sprecherin der Behörde für Soziales und Gesundheit, kann keinen Mangel feststellen: „Bei mir haben sich schon Gebärdensprachdolmetscher gemeldet, die für die Stadt arbeiten wollten.“ Die könnten demnächst vielleicht auch eingestellt werden, wenn die Bürgerschaft das von Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) kürzlich vorgestellte Gleichstellungsgesetz für Barrierefreiheit im Alltag Behinderter beschließt.

Das Gesetz regelt den ungehinderten Zugang zu Behörden und dort die Bereitstellung von Formularen etwa in Blindenschrift und von Kommunikationshilfen wie Bildschirmtelefonen oder Bescheiden auf Kasette. Auch einen rechtlichen Anspruch auf einen Gebärdensprachdolmetscher beim Amtsbesuch soll es festschreiben. Ein „wichtiger Fortschritt“, sagt Kienscherf. Und Behörden-Sprecherin Wichert verspricht: „Dann wird es definitiv genügend Dolmetscher geben.“

Im Zuge einer Bedarfsstudie für die Universität, welche einen Kahlschlag bei den Geisteswissenschaften für das Jahr 2012 prognostiziert, gab es in letzter Zeit allerdings Gerüchte, das Institut für Deutsche Gebärdensprache würde geschlossen und der Studiengang eingestellt. Doch Viola Griehl von der Uni-Pressestelle verspricht, dass „das IDGS eindeutig von Kürzungen verschont bleibt“ – wenn der Hochschulrat nicht noch in letzter Minute anders entscheidet.

*Name geändert