Endlich daheim?

Die beiden im Irak befreiten italienischen Helferinnen werden zu Hause erneut in Geiselhaft genommen

Als Simona Torretta und Simona Pari am Mittwochabend auf den Balkon des römischen Rathauses traten und zu der auf dem Platz versammelten Menschenmenge hinunterwinkten, schien die Welt noch und wieder in Ordnung. 21 Tage hatten die beiden jungen Helferinnen der Organisation „Un ponte per …“ – eine Brücke für …“ – in irakischer Geiselhaft verbracht. Nun waren sie freigelassen und mehrere tausend Römer riefen spontan: „Simona, Simona, Simona!“ Es war wie ein Straßenfest. Simona Torretta wirkte selbstsicher, als sie ans Mikrofon trat und sagte: „Ich danke allen, die zu unserer Freilassung beigetragen haben: der Regierung, der Opposition, dem irakischen Volk, den islamischen und den christlichen Gemeinschaften.“

Vielleicht hätte sie die Regierung von Silvio Berlusconi, die für die Freilassung vermutlich ein Lösegeld in Millionenhöhe bezahlte, etwas lauter hervorheben müssen. Vielleicht hätten dann die dem erzkonservativen Regierungschef nahe stehenden Zeitungen, zu denen sich auch der angesehene Corriere della Sera gesellte, nicht am nächsten Tag geschrieben: „Sie hat sich nicht richtig bedankt.“ Schon als Simona Torretta nach der Begrüßung im Rathaus in das davor wartende Polizeifahrzeug einstieg, rief ihr ein Journalist hinterher: „Was sagen Sie dazu, dass die von Ihnen bekämpfte italienische Regierung für Sie Lösegeld bezahlt hat?“

In der Via Salesiana Nummer 44, einer einfachen Dreizimmerwohnung im Vorort „Cinecittà“ klingelte jedenfalls am Tag nach dem Rathausempfang mehrfach das Telefon und anonyme Anrufer bezichtigten Torretta des groben Undanks. Dazwischen brachten Nachbarn Blumen und Kuchen vorbei.

Berlusconi war der erste Politiker, der sich noch in der Nacht mit den befreiten Geiseln am Flughafen zeigte. Danach sonnte sich die Opposition mit dem römischen Bürgermeister Walter Veltroni (Demokratische Linke) im Licht der jungen Frauen.

Selbst der Pfarrer des Viertels, in dem Torretta lebt, hofft auf einen Mitnahmeeffekt: Am gestrigen Freitag lud er zu einem Dankgottesdienst in seine Kirche, weil seine Gebete „offenbar erhört worden waren“.

Dabei hatte Simona Torretta den Koran im Gepäck, als sie von Bagdad aus nach Rom zurückflog – ein Geschenk der Entführer, die sich bei ihren Geiseln am Ende dafür entschuldigt hatten, ganz offensichtlich die Falschen erwischt zu haben. Beide Frauen kümmerten sich schon lange vor Ausbruch des Krieges im Irak um die medizinische Versorgung von Familien und hatten sich bis zuletzt gegen jede militärische Intervention stark gemacht.

Gestern ließ nun auch noch der Bezirksbürgermeister des römischen Stadtviertels „Cinecittà“ an Hauswänden große Plakate kleben mit dem Foto von Simona Torretta : „Eine mutige Römerin“ stand darunter und „Eine warmherzige Pazifistin“. Jeder, so scheint es, nimmt sie, wie er sie gebrauchen kann, nur Anna Maria, die Mutter von Simona, hat noch immer dicke Ringe unter den Augen. „Wo bleibt sie nur?“, fragt sie sich am Abend des ersten Tages verzweifelt, als Simona um 21 Uhr noch immer nicht nach Hause zurückgekehrt ist, weil Politiker, Journalisten und Pfarrer sie in ihre Geiselhaft genommen haben. JENS GELTIG