Offensive im Gaza-Streifen

Mit einer Neun-Kilometer-Bannmeile und massiven Militäroperationen will Israels Regierung auf den Raketenbeschuss aus dem Gaza-Streifen reagieren. Justizminister verurteilt „sinnlose“ Aktion

Das palästinensische Volk kann „angesichts dieser Aggression nicht ruhig bleiben“

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Ungeachtet scharfer Kritik aus den eigenen Reihen hält die israelische Regierung an einer Verschärfung ihrer Militäroffensive im Gaza-Streifen fest. Palästinenser berichteten von bis zu 100 Panzern, die gestern Früh in das Flüchtlingslager Dschabalia und die Ortschaften Beit Hanun und Beit Lachija einzogen. Zuvor hatte das Sicherheitskabinett in Jerusalem über „notwendige Militärmaßnahmen“ zur Beendigung der Bedrohung durch Kassam-Raketen entschieden. Bei den seit Mittwochnacht andauernden Auseinandersetzungen starben bislang über 39 Palästinenser sowie fünf Israelis. Über 100 Menschen wurden verletzt.

Auslöser der Militäraktion war der Tod zweier israelischer Kleinkinder, die von aus Gaza abgefeuerten Kassam-Raketen getötet worden waren. Israelischen Berichten zufolge fällt die Operation mit dem Codenamen „Tage der Buße“ auf Druck der Armee „begrenzter“ aus, als es sich Premierminister Ariel Scharon vorgestellt hatte. Scharon wollte den andauernden Raketenbeschuss offenbar mit massiven Bombardierungen beantworten.

Der aktuelle Militärplan sieht eine neun Kilometer breite Bannmeile entlang der nördlichen Teilungslinie zwischen Gaza und Israel vor, was der maximalen Reichweite der Kassam-Raketen entsprechen würde. Die Truppen sind aufgefordert, Abschussbasen sowie Metallwerkstätten zur Raketenproduktion ausfindig zu machen und zu zerstören. Ferner sollen Häuser abgerissen werden, in denen Abschussbasen entdeckt wurden. Palästinensischen Berichten zufolge zerstörte die Armee bislang über 50 Gebäude.

Die auf unbestimmte Zeit angesetzte Operation ist nicht nur in Militärkreisen umstritten, sondern auch innerhalb des Kabinetts. Justizminister Tommi Lapid (Schinui) glaubt nicht an eine militärische Lösung für die Raketenbedrohung. Die Militäroperation „wird nur die Zahl der Opfer erhöhen, die Zerstörung im Palästinensergebiet verschärfen und zu internationaler Verurteilung führen“, warnte er die Minister. Sein Vorschlag, anstelle einer Invasion die Häuserdächer in der bedrohten Stadt Sderot mit Betonschichten zu stärken, löste Belustigung und Unverständnis im Kabinett aus.

Die Truppen sollen Abschussbasen sowie Metallwerkstätten zerstören

Finanzminister Benjamin Netanjahu schlug stattdessen vor, die Infrastruktur in Gaza zu bombardieren, um so den Druck innerhalb der palästinensischen Bevölkerung gegen eine Fortsetzung des Raketenbeschusses zu intensivieren. Israelische Hubschrauber warfen über dem nördlichen Gaza-Streifen Flugblätter ab, mit denen davor gewarnt wird, dass „Terror euch nur noch mehr Armut und Not bringen wird“.

Offenbar erreichte die Armee vorläufig nur das Gegenteil: Die israelische Operation wird „zum Blutbad auf beiden Seiten führen“, kommentierte der ehemalige Sicherheitschef im Gaza-Streifen, Mohammed Dahlan. Das palästinensische Volk kann „angesichts dieser Aggression nicht ruhig bleiben“. Bewaffnete Hamas-Aktivisten verbreiteten Berichten zufolge über die Moscheen Verhaltensmaßnahmen, darunter das In-Brand-Setzen von Autoreifen, um der Luftwaffe Angriffe zu erschweren. Ferner sollten die Kämpfer nicht länger als drei Minuten an einem Ort bleiben, vom Gebrauch ihrer Handys absehen und in Gruppen von nicht mehr als sieben Männern operieren.