Nordiren sollen wieder wählen

Ende November soll in Nordirland ein neues Regionalparlament gewählt werden. Auf protestantischer Seite könnte die Partei des Radikalen Ian Paisley gewinnen. Ihr Ziel: Aufkündigung des Karfreitagsabkommens, der Grundlage des Friedensprozesses

aus Dublin RALF SOTSCHECK

Nordirland steht wieder einmal vor einem „historischen Durchbruch“, wie es der britische Premierminister Tony Blair gestern bezeichnete. Am 26. November wählt die Krisenprovinz ein neues Regionalparlament. Vor gut einem Jahr wurden Parlament und Regierung aufgelöst, weil die Irisch-Republikanische Armee (IRA) angeblich potenzielle Angriffsziele ausspioniert hatte. Die für Mai angesetzten Wahlen wurden abgesagt.

Die Unionistische Partei des Friedensnobelpreisträgers David Trimble erklärte damals, sie werde erst dann wieder eine Mehrparteienregierung mit der IRA-Partei Sinn Féin („Wir selbst“) bilden, wenn die IRA das Ende des bewaffneten Kampfes erkläre und sämtliche Waffen abgebe. Die IRA hat ihren Waffenstillstand seit nunmehr fast zehn Jahren eingehalten. Heute geht die Gewalt hauptsächlich von protestantischen Organisationen aus.

Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams rief gestern dazu auf, das „Karfreitagsabkommen vollständig und unwiderruflich“ umzusetzen. Das Abkommen, das am Karfreitag 1998 unterzeichnet wurde, regelte die Modalitäten für eine gemeinsame Regierung der katholischen und protestantischen Parteien. Um zu einer Einigung zu kommen, blieben damals viele Details ungeklärt, so dass beide Seiten einen Verhandlungssieg für sich reklamieren und das Abkommen einer skeptischen Basis schmackhaft machen konnten. Das rächte sich, sobald es an die Praxis ging.

Seit Sommeranfang verhandelten die beteiligten Parteien mit der britischen und irischen Regierung über einen Kompromiss, am Wochenende tagten die Delegierten rund um die Uhr im Belfaster Schloss Stormont. Eine entscheidende Rolle spielte bei den Verhandlungen die Sequenz der Ereignisse, weil beide Seiten vor ihren Anhängern das Gesicht wahren mussten. Sinn Féin lehnte die IRA-Entwaffnung als Vorbedingung für die Wiedereinsetzung des Regionalparlaments ab, während die Unionistische Partei des Friedensnobelpreisträgers David Trimble genau das verlangte. Gestern Mittag kündigte die IRA an, der internationalen Entwaffnungskommission zum dritten Mal ein Waffenlager zu übergeben.

Der „historische Durchbruch“ könnte allerdings von kurzer Dauer sein. Trimbles Unionistische Partei ist heillos zerstritten, die Hälfte der Abgeordneten ist gegen jede Machtbeteiligung von Sinn Féin. Jeffrey Donaldson, Trimbles schärfster Rivale in der eigenen Partei, warf seinem Parteichef vor, er sei gegenüber Sinn Féin eingeknickt. Die Chancen stehen gut für die Democratic Unionist Party des Demagogen Ian Paisley, aus den Wahlen als stärkste Partei hervorzugehen. Ihr vorrangiges Ziel wird es sein, das verhasste Belfaster Abkommen schnell zu Fall zu bringen.