„Die Leute brauchen mehr Geld“

Die Gesundheitsreform von Rot-Grün ist falsch, sagt Wirtschaftsforscher Horn. Die Regierung sollte dafür sorgen, dass die Bürger mehr konsumieren

Interview HANNES KOCH

taz: Dieses Jahr rechnen die Wirtschaftsforscher mit 0 Prozent Wachstum, nächstes Jahr aber immerhin mit 1,7 Prozent. Kommt der Ausschwung also doch noch?

Gustav-Adolf Horn: Das werden wir erst 2004 sehen. Wir prognostizieren eine Belebung der Wirtschaft, aber keinen Aufschwung. Dazu müsste die Kapazitätsauslastung der Unternehmen steigen. Die Vorstände würden sich Gedanken machen, ob sie zusätzliche Anlagen und Beschäftigte brauchen. Dass das passiert, ist aber leider unwahrscheinlich.

Befürchten Sie eine biblische Plage – die sieben mageren Jahre?

Um das zu verhindern, müsste die rot-grüne Bundesregierung die extrem schwache Binnennachfrage ausgleichen. Irgendwie muss man die Leute dazu bringen, mehr einzukaufen. Wir zweifeln daran, dass es mit der gegenwärtigen Politik gelingt, bald wieder Wachstumsraten von 2 bis 3 Prozent zu erreichen. Dann erst sinkt ja die Arbeitslosigkeit durchgreifend.

Rot-Grün tut nicht das Richtige, um Wachstum und neue Jobs zu schaffen?

In unserer Prognose haben wir die Bundesregierung kritisiert, weil ihre Politik keine klare Schwerpunktsetzung erkennen lässt. Was will die Regierung eigentlich – die Konjunktur stimulieren oder die Nachfrage der Konsumenten durch starke Einschnitte weiter schmälern? Einerseits versucht Bundesfinanzminister Hans Eichel, die Staatsfinanzen zu sanieren, auf der anderen Seite leistet er sich hohe Defizite.

Was müsste denn nun passieren?

Die drei Institute aus Berlin, Halle und Essen plädieren dafür, zuallererst die Konjunktur zu stimulieren.

Moment mal, früher stand das DIW immer allein auf weiter Flur. Nun stellen sich schon drei von sechs Forschungsinstituten gegen die Sparpolitik. Geht den neoklassischen Theoretikern der verschlossenen Staatskassen allmählich die Luft aus?

Auch die Ökonomenzunft kann sich der Realität nicht entziehen. Dass vor allem die schwache Nachfrage der Konsumenten schuld ist an unserer Stagnation, lässt sich kaum noch ernsthaft bezweifeln.

Stimulierung der Konjunktur, sagen Sie. Was heißt das denn?

Rot-Grün liegt richtig mit dem Plan, die Steuerreform von 2005 auf 2004 vorzuziehen. Wichtig ist aber Folgendes: Wenn man den Leuten mehr Geld geben will, darf man sie nicht gleich wieder abkassieren, indem man alle möglichen Steuervergünstigungen streicht.

Wenn der Staat die Steuern senkt, hat er weniger Geld für Investitionen. Öffentliche Nachfrage würde doch aber gerade gebraucht.

Es dauert erfahrungsgemäß ziemlich lange, bis öffentliche Investitionsprogramme Wirkung erzielen. Wir brauchen den Impuls aber möglichst schnell. Ein ziemlich unkomplizierter Weg dahin ist die Steuerreform im kommenden Januar. Dann haben die Leute sofort mehr Geld und können es ausgeben.

Die 15 Milliarden Euro aus der vorgezogenen Steuerreform sind eine bescheidene Summe. Muss der Kick für die Konjunktur nicht 30 oder 40 Milliarden Euro betragen, um etwas zu erreichen?

Man muss schon aufpassen. Das Staatsdefizit soll ja nicht überborden. Deshalb schlagen wir zur Finanzierung auch den Abbau von Subventionen und Steuervergünstigungen vor. Im Unterschied zur Bundesregierung sagen wir allerdings, dass der Subventionsabbau nicht sofort, sondern allmählich beginnen soll. Sie können nicht zum 1. Januar die komplette Eigenheimzulage abschaffen! Es ist besser, sie langsam auslaufen zu lassen.

Mit seiner Politik der strukturellen Reformen zwingt Rot-Grün die Bundesbürger, zusätzliche Privatversicherungen für soziale Risiken abzuschließen. Das beansprucht Geld, das sie demzufolge nicht in die Geschäfte tragen. Ein richtiger Ansatz?

Wir kritisieren, dass bei der Gesundheitsreform nur eine Verlagerung der Kosten stattfindet – aber keine Effizienzsteigerung bei Ärzten, Krankenkassen und Pharmaindustrie. Ich würde alles vermeiden, was die Kaufkraft der Konsumenten weiter verringert. Das ist ja die eigentliche Ursache der Stagnation.

Die Privatisierung sozialer Kosten im Rahmen von Schröders Agenda 2010 lehnen Sie ab?

Damit kommen wir aus den gegenwärtigen Schwierigkeiten jedenfalls nicht heraus. Die Bundesregierung sollte sich vor folgendem Teufelskreis hüten: Die schwache Nachfrage der Verbraucher zieht steigende Arbeitslosigkeit, steigende Kosten des Sozialsystems und damit weitere Einsparungen nach sich. Diese Spirale nach unten müssen wir durchbrechen.

Ist die Kürzung der Renten ebenso abzulehnen?

Nein, hier plant die Bundesregierung gerade keine Belastung der Beschäftigten und ihrer Einkommen. Betroffen sind stattdessen die Rentner. Das ist das kleinere Übel. Ältere Leute konsumieren weniger. Einsparungen bei den Alten schmälern die Nachfrage also vergleichweise weniger als bei den noch aktiven Schichten der Bevölkerung.