Bahn unter Zugzwang

Güterzug in Allermöhe entgleist. Castor-Transport kam zeitgleich unbeschadet durch. Reparaturarbeiten in Harburger S-Bahn-Tunnel dauern nach Brand noch bis zum Wochenende. Fahrgastverband Pro Bahn: Das passiert halt ‘mal

von GERNOT KNÖDLER

Für die Bahn in Hamburg und Schleswig-Holstein ist der Oktober zu einem schwarzen geworden. Drei Pannen legten den Zugverkehr zeitweise lahm. Dazu kamen zwei Unfälle, bei denen ein Mensch schwer verletzt wurde. Aufgrund der jüngsten Pannen ist der S-Bahn-Verkehr zwischen der Innenstadt und Harburg sowie nach Bergedorf unterbrochen. Die Züge nach Berlin und Schwerin werden umgeleitet.

Auf der Strecke nach Berlin sind gestern Morgen um 3.10 Uhr kurz vor Bergedorf 15 von 26 Wagen eines Güterzuges aus den Gleisen gesprungen. Nach Auskunft der Deutschen Bahn sind dabei Schienen und Gleise auf einem Abschnitt von fünf Kilometern Länge beschädigt worden. Eine große Menge Schrott und Schiefer, mit denen die Waggons beladen waren, kippte in der Nähe des S-Bahnhofs Allermöhe auf die Gleise. Überall lagen Trümmer verteilt.

„Wir haben noch Glück gehabt“, sagte Feuerwehrsprecher Gerd Bramfeld. Vier Waggons mit Gefahrgut hingen direkt hinter der Lok und blieben unversehrt. Die Feuerwehr, die mit 100 Mann zu dem Einsatz aufgebrochen war, musste lediglich eine heiß gelaufene Achse kühlen. Zur Frage, was passiert wäre, wenn die entgleisten Wagen mit Atommüll beladen gewesen wären, mochte die Bahn-Pressestelle lieber keine Auskunft geben. Ein solcher Zug fuhr zeitgleich durch Hamburg (siehe Seite 24).

Mit dem Aufräumen und Reparieren werden die Leute von der Bahn frühestens am Freitag fertig sein. Anstelle der S-Bahn zwischen Bergedorf und Mittlerer Landweg verkehren so lange Busse. Die Fernverkehrszüge nach Berlin hätten trotz einer Umleitung über Hannover kaum Verspätung, versicherte ein Sprecher der Bahn. Bei der Verbindung nach Schwerin, das über Lübeck angefahren werde, betrage die Verspätung 25 bis 28 Minuten.

Die Folgen des Kabelbrandes vom vergangenen Donnerstag im Tunnel kurz vor dem S-Bahnhof Harburg werden nicht vor Sonnabend behoben sein. Die Bahnreisenden aus Richtung Neugraben und Innenstadt dürfen bis Harburg Fern- und Regionalzüge benutzen. Ersten Schätzungen zufolge ist ein Schaden von mehreren Millionen Euro entstanden. Die verschmorten Kabel und Schaltschränke zur Stromversorgung und Steuerung der S-Bahn müssen ersetzt werden, und der Tunnel muss gereinigt werden. „Wir arbeiten rund um die Uhr“, versicherte ein Bahnsprecher. Der Brand war von einem Gleichrichterwerk ausgegangen.

Für Karl-Peter Naumann vom Fahrgastverband Pro Bahn ist die Pannenserie kein Grund zur Aufregung. „Das passiert halt ‘mal, dass ein Güterzug aus den Schienen springt“, sagte er der taz. Meist liege das daran, dass ein Wagen defekt sei. Dieser setze dann eine Kettenreaktion in Gang, wie sie auf der Autobahn so leicht nicht ablaufen könne.

Bei dem Brand im S-Bahntunnel habe die Bahn richtig reagiert: Ein Zugführer hatte Rauch gesehen, die Fahrgäste evakuiert und die Feuerwehr gerufen. „Das Entscheidende ist, dass solche Sachen rechtzeitig entdeckt werden“, sagte Naumann. Die Gleichstromtechnik der Bahn sei wegen der von ihr benötigten hohen Stromstärke besonders brandanfällig. Dennoch stelle das Unfallrisiko bei der Bahn trotz der jüngsten Pannenserie kein Problem dar.