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: Los Angeles als Spielbrett: Das Kino 46 zeigt verstörende Stadt-Visionen

Der Highway ist ein Symbol für den amerikanischen Traum. Er führt in die Freiheit oder zumindest doch nach Kalifornien. An seinem Rand locken Neonschilder mit einem Vorgeschmack auf das Ziel der Reise: „Hotel Paradise“. Wäre Arno Coenens „The Last Roadtrip“ ein typisches Roadmovie, müsste er diese Vorstellung bedienen. Im Kurzfilm des Holländers funktioniert dieser Kino-Mythos jedoch nicht mehr. Wir sind schon in Kalifornien, und der Highway verläuft nur noch im Kreis durch eine verstörende Stadtlandschaft.

Coenens komplett compu-teranimierte tour de force durch ein virtuelles Los Angeles ist Teil eines Kurzfilmabends, mit dem das Kino 46 am Sonntag sein filmisches Begleitprogramm zur Ausstellung „No Art – No City“ abschließt. Unter dem Titel „Utopian Towns“ werden sechs Streifen der Jahre 1997 bis 2001 gezeigt, die sich alle mit dem Leben des Menschen in Großstädten auseinander setzen. London, Brasilia, Taipei.

Arno Coenen versteht es, mit diesem Thema so virtuos umzugehen, dass seine radikale Bildsprache zu einem atemberaubenden Seherlebnis führt. Geil, geil, geil! Das musste einfach gesagt werden. Denn genial nutzt der Videokünstler die Ästhetik von Computerspiel-Klassikern, um das Leben in einer amerikanischen Stadt in grellen Farben zu verunglimpfen. Am Anfang formieren sich bunte Würfel zu einem Grundraster, das sich nach und nach als Monopoly-Brett entpuppt – komplett mit kleinen grünen Häuschen und Figürchen. Die zynische Jagd nach dem Jackpot beginnt. Schon huscht die Kamera über die Felder – eine Bierflasche, ein Burger oder Schriftzüge wie „Vorstadt“ und „Selbstmord“.

Dann Stillstand. Ein Zoom, und vor dem Auge des Zuschauers entfalten sich höllische Szenen: Aus den genormten Monopoly-Häuschen der Vorstadt trieft Blut. Rosa Schweine mit Rotoren, die symbolisch für Polizeihubschrauber stehen, werden von Kugeln durchlöchert. Der liebe Restaurantclown Ronald McDonald gerät in die Hände böser Cops. Die Bierflasche mit der Aufschrift „White Trash“ zeigt ihre Zutaten: „Christliche Gesellschaft“, „Fremdenfeindlichkeit“ und „Viele Schusswaffen“. Der Verlierer in diesem Chaos bleibt immer der einzelne Mensch.

Konzipiert wurde „The Last Roadtrip“ als Videoinstallation. Bei einem Festival in Rotterdam wurde der Film auf die verspiegelte Windschutzscheibe eines Pick-up-Trucks projeziert. Dass er auch bei der Übertragung auf die Kinoleinwand begeistert, liegt vor allem an der Kraft seiner Bilder.

Coenen hat bestimmte, prägnante Szenen aus dem Bilderfundus Medien-Amerikas ausgewählt und zu einer bedrückenden, verwirrenden Stadt verdichtet, aus der es kein Entrinnen gibt. Mit seinem Monopoly-L.A. übt er Kritik an den Entwicklungstendenzen moderner Weltstädte und gesellschaftlicher Bigotterie. Er folgt dabei einer Erfahrung, nach der sich urbane Horrorszenarien am besten in der Form von Kunstprodukten darstellen lassen. Fritz Lang und George Orwell haben es vorgemacht.

Ähnlich gehen auch die übrigen fünf Kurzfilme das Thema an: So setzt Bernhard Schreiners „Hwa-Shan-District, Taipei“ eine Industriebrache mehrmals auf verschiedene Weise in Szene. In Dylan McNeils „NY, the lost civilisation“ laufen die Girlie-Gangs der Oberschicht durch eine City aus Rauch. Die Visionen der sechs Künstler belegen, dass Menschen Filme brauchen, um ihr Leben im verstörenden Stadtkosmos zu verarbeiten. Schon deshalb sollte man „Utopian Towns“ auf keinen Fall verpassen. Tim Ackermann

Nur Sonntag, 26.10, um 20.30 Uhr im Kino 46