„Integration durch Arbeit“ oder Freiheitsberaubung?

In Köln wird das Hartz-IV-Prinzip „Fördern und Fordern“ bei Arbeitslosen seit langem praktiziert. Während Sozialdezernentin Bredehorst das „Kölner Modell“ genau deswegen lobt, betonen Kritiker auf einer Podiumsdiskussion in Nippes, dass Arbeitslosigkeit nicht nur ein Vermittlungsproblem sei

KÖLN taz ■ Früher oder später taucht die Frage derzeit bei jeder Abendgesellschaft oder Kneipenrunde auf: Was hältst du eigentlich von „Hartz IV“? Auf der Suche nach Antworten haben die Kölner gegenüber dem Rest der Republik in gewisser Weise einen Vorteil, denn das „Kölner Modell“ der Betreuung von Langzeitarbeitslosen entspricht dem Hartzschen Axiom vom „Fördern und Fordern“. Sowohl Befürworter wie Gegner der angepeilten Arbeitsmarktreform berufen sich deshalb auf die hiesige Praxis.

So war es vergangene Woche auch bei einer Podiumsdiskussion im Nippeser Bürgerzentrum. Dabei begannen die beiden prinzipiellen Hartz-Befürworter, Kölns Sozialdezernentin Marlis Bredehorst und Dieter Göbel vom Landesjugendamt, zunächst mit einer Kritik an den „materiellen Komponenten“ des Gesetzes. Bredehorst gab unumwunden zu, dass die Herabsetzung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau durch das neue Arbeitslosengeld II (ALG II) problematisch sei: „Die Sozialhilfe war für mich immer schon zu gering.“ Auch Göbel nannte die bisherigen Arbeitslosenhilfebezieher die eigentlichen Verlierer von Hartz: „Es trifft weniger die Ärmsten der Armen, sondern die eigentliche Mittelschicht.“

Den Grundgedanken von Hartz IV verteidigten jedoch beide: das „Hinwirken auf Selbstaktivierung“ (Bredehorst) und die „gesellschaftliche Integration durch Arbeit“ (Göbel). Genau dagegen argumentierten die beiden Hartz-Gegner auf dem Podium. Die „sozialdemokratische Ideologie des Förderns und Forderns“ beruhe auf der falschen Annahme, dass Arbeitslosigkeit ein Vermittlungsproblem sei, erklärte Thomas Münch, Geschäftsführer des Kölner Arbeitslosenzentrums (KALZ). Zudem liege dem Gesetz mit seinen Sanktionsinstrumenten ein fragwürdiges Menschenbild zu Grunde. „Es fehlt der elementare Begriff der Freiheit.“ Wenn man Menschen ihrer ökonomischen Basis beraube und zur „Zwangsarbeit“ verdonnere, gefährde man überdies ihre Verbundenheit mit der Demokratie, so Münch weiter. „Die guten Wahlergebnisse für Rechte sind dann nicht verwunderlich.“

Auch Helga Spindler, Professorin für Sozialrecht an der Uni Essen, kritisierte Hartz IV als „neue Philosophie“, bei der es nur noch um die Annahme von Arbeit jeder Art gehe, ohne Rücksicht auf die Würde des Menschen: „Auch der redlichste und motivierteste Arbeitslose kann hier nicht mitreden, bekommt nichts. Da herrscht nur Zwang.“

Kaum Einigkeit gab es zwischen Hartz-Gegnern und -Verteidigern auch hinsichtlich der vermuteten Wirkungen der Gesetze auf den Arbeitsmarkt. Zwar behaupteten weder Bredehorst noch Göbel, dass durch die Hartz-Gesetze das Problem der Massenarbeitslosigkeit gelöst wird. Aber das „Fördern“ würde Langzeitarbeitslosen die Möglichkeit bieten, in die „Arbeitsplatzrotation“ einzusteigen, sprich: zumindest zeitweise Arbeit zu finden. Hier verwies Bredehorst auf das „Kölner Modell“ mit seinen Jobcentern und Fallmanagern, das für Hartz IV Pate gestanden habe. Und Göbel lobte: „Nirgendwo sonst werden Sozialhilfeempfänger so gut vermittelt.“ Ein Mitarbeiter der Beschäftigungsgesellschaft „Zug um Zug e.V.“ saß im Publikum und bestätigte das: Man organisiere „integrierende Arbeitsgelegenheiten, die keine Sackgassen sind“ und bringe so quasi alle Kölner Jugendlichen in Arbeit.

Das nun bezweifelte KALZ-Geschäftsführer Münch vehement. Bislang gebe es keine einzige Untersuchung der Effizienz des Kölner Modells. Fest stehe allenfalls: „Bei Maßnahmen wie sie ‚Zug um Zug‘ anbietet, verschwinden rund 30 Prozent der Teilnehmer.“ Und die Juristin Spindler kritisierte die „Rechtlosigkeit“ der Kölner Jugendlichen, die in Beschäftigungsmaßnahmen gezwungen würden.

Einer dieser jugendlichen „Verschwundenen“ saß unter den Zuschauern und meldete sich zu Wort. Amir B., 22 Jahre, erzählte, wie er nach dem Abbruch der Schule vom Sozialamt zu „Zug um Zug“ geschickt worden sei. „Ich wurde nicht beraten, nicht über meine Möglichkeiten aufgeklärt.“ Er habe die Beschäftigungsmaßnahme als völlig sinnlos empfunden, „aber ich hatte keine Wahl“. So sei er mit der Zeit depressiv geworden und nach sechs Monaten einfach „abgetaucht“. Jetzt mache er seinen Zivildienst: „Aber das ist auch nur eine temporäre Lösung.“

Susanne Gannott