Berlin macht sich nackig

Starfotograf Helmut Newton vermacht der Stadt sein Fotoarchiv. Nach endlosem Ringen wurde der Vertrag unterzeichnet. Ab Frühjahr 2004 zeigt die Preußen-Stiftung Ausstellungen aus 1.000 Werken

von JAN ROSENKRANZ

Es soll so gewesen sein: Sie standen am Fenster im ersten Stock dieses Hauses und schauten auf die Gleise vom Bahnhof Zoo. „Von dort aus bin ich nach Singapur ausgewandert“, sagte Helmut Newton. Das Letzte, was er von Berlin gesehen habe, damals 1938 auf seiner Flucht vor den Nazis, sei dieses Haus gewesen. Dann erfüllte die Stimme des Kunstsammlers Heinz Berggruen den Saal: „Siehst du, und jetzt bist du wieder da.“ Und ab kommendem Frühjahr sollen in diesem Haus in der Charlottenburger Jebensstraße 2 Helmut Newtons Bilder gezeigt werden.

Natürlich durfte diese Geschichte gestern nicht fehlen. Sie sei der Startschuss gewesen, erzählt Klaus-Peter Schuster, der Generaldirektor der Staatlichen Museen. Der Startschuss für ein jahrelanges zähes Ringen, an dessen vorläufigem Ende gestern in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ein Vertrag unterschrieben wurde.

Helmut Newton ist in seine Heimatstadt zurückgekommen, und er kam nicht mit leeren Händen. Er hat seine weltberühmte Fotosammlung mitgebracht und sie Berlin als Dauerleihgabe überlassen – über 1.000 Werke von ihm und seiner Frau June Newton alias Alice Springs.

Er sei stolz und glücklich, sagt der 82-Jährige, dass die Fotos nun in seine Heimatstadt gelangen, „nicht nur die Nackten, auch alle anderen.“ Seine Frau habe ihn dazu angetrieben. „Sie ist der Berlin-Dynamo, obwohl die Arme kein Wort Deutsch spricht.“ Anders als ihr Gatte, der berlinert mit amerikanischen Akzent. „Deutschland hat mir nie gefehlt“, so Newton, „aber Berlin sehr.“

Das konnte Bundeskanzler Gerhard Schröder nicht ahnen, und so betonte er in seiner Grußbotschaft, Newtons Geste „ehrt dieses Land, sie ist eine Geste der Versöhnung, ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen“. Auch Kulturstaatsministerin Christina Weiss sprach von einer „künstlerischen Heimkehr des Emigranten“ und einem „großen Tag für die Fotografie in Deutschland“. Damit werde auch der Grundstein für ein national bedeutendes Zentrum für Fotografie gelegt.

„Er ist nicht so lieb und so nett, wie er immer wirkt, er ist ein knallharter Geschäftsmann“, sagte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit über Newton. Aber darum sei es umso mehr zu schätzen, dass er der Stadt dieses großzügige Angebot gemacht hat. Berlin habe das Gebäude in der Jebensstraße deshalb auch gerne zur Verfügung gestellt – zum symbolischen Preis von einem Euro geht es an die Preußen-Stiftung.

Am Rande der Vertragsunterzeichnung gab sich der Regierende auch als Newton-Fan zu erkennen. Er hatte extra einen eigenen Newton-Bildband mitgebracht, um ihn vom Meister signieren zu lassen. „Ich stehe zu seinen Bilder. Ich weiß, dass sie umstritten sind, und deshalb freue ich mich auf die Debatten.“

Sichtlich zufrieden und erleichtert zeigte sich gestern auch der Stiftungspräsident Klaus-Dieter Lehmann. Zwar haben die Verhandlungen lange gedauert, aber offenbar haben sie sich gelohnt. So bekommt jetzt endlich auch das vor Jahren gegründete „Deutsche Centrum für Photographie“ einen eigene Ort. Es soll in den verbleibenden Etagen der Jebensstraße 2 sein Domizil beziehen. Außerdem stellt Newton nicht nur seine Sammlung zur Verfügung, er trägt auch die Kosten für den Umbau des ehemaligen Landwehr-Casinos, in dem sich später auch die Berlinische Galerie und die Kunstbibliothek befanden. Und zudem trägt er die Kosten für einen eigenen Kurator. Den wird es brauchen, schließlich soll der Newton-Bestand später aufgestockt werden. „Solange wir beide leben, bleiben die Negative bei uns, wir brauchen sie zum Arbeiten. Wenn wir abgekratzt sind, dann geht alles an Berlin“, so Newton.