die attacke der properiden von JOACHIM SCHULZ
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Ich weiß nicht, ob es sich bei den Properiden wirklich um eine Lebensform handelt. Ich stelle sie mir allerdings vor als winzige, fiese und äußerst aggressive Bazillen. Fest steht, dass sie eine Art von temporärem Wahnsinn verursachen, und fest steht auch, dass sie sich stets den ungünstigsten Moment für ihre Attacke aussuchen. Gerne schlagen sie beispielsweise in einem Augenblick zu, in dem alle Kräfte auf die termingerechte Fertigstellung der Steuererklärung konzentriert werden sollten. Sie stürzen sich auf mich, wenn ich mich dringend aufs Fahrrad schwingen müsste, um pünktlich zum ausgemachten Termin bei meinem Zahnarzt zu erscheinen, und haben während meines Studiums dafür gesorgt, dass ich zu praktisch allen wichtigen Klausuren zu spät gekommen bin. Vor allem aber blasen sie stets zum Angriff, wenn ich mir Gäste eingeladen habe, der Braten in der Röhre schmurgelt und noch knapp eine Stunde bleibt, um den Tisch zu decken, den Salat herzustellen und eine Dusche zu nehmen.

Am Anfang steht jedes Mal eine Unachtsamkeit, eine lässlich wirkende Verfehlung, ohne die die Properiden ihre Attacke niemals starten könnten. Gerade bin ich dabei, die Teller auf dem Tisch zu verteilen, da entdecke ich auf dem Schirm der Deckenlampe plötzlich einen dichten, pelzigen Staubbelag, über den ich aus unerfindlichen Gründen wochenlang hinweggesehen habe. Würde ich ihn auch jetzt schulterzuckend ignorieren, wäre der Abend gerettet. Stattdessen aber greife ich unwillkürlich nach einer Serviette, beseitige den Staubpelz und öffne den Properiden damit Tür und Tor. Im Handumdrehen haben sie sich auf mich gestürzt, meine Immunabwehr überwältigt und sich in meinem Schädelinnern wie die Turbokaninchen vermehrt. Als ich mit dem Tischdecken fortfahren will und die Besteckschublade öffne, bemerke ich jedenfalls, dass auch die Schrankoberfläche von dem unansehnlichen Pelz bedeckt ist. Kaum ist er beseitigt, erblicke ich ihn auf der Fensterbank. Auf den Bilderrahmen, dem Plattenspieler, dem Gipskopf meines alten Freundes Franz K. Und – Himmel, Herr, hilf! – natürlich auch auf den Blättern der Yuccapalme.

Von da an haben die Properiden mich vollständig in ihrer Gewalt. Jetzt ist kein Halten mehr. Der Tisch bleibt halb gedeckt, der Salatkopf ganz, der Braten unbegossen. Stattdessen taumele ich in unkoordinierten Zickzackbewegungen durch die Wohnung, staube hier ein paar Bücher ab, putze dort einen Spiegel, meißele eine dicke Schicht aus Wachs und Staub von einem Kerzenständer herunter, poliere die Wasserhähne und schrubbe die Heizung im Bad.

Als schließlich die ersten Gäste klingeln, habe ich gerade den Kleiderschrank von der Wand gerückt, um die Spinnenweben wegzusaugen, die sich an seiner Rückwand befinden. Der Salatkopf indes ist noch immer ganz, der Braten vertrocknet, und ungeduscht bin ich natürlich auch. „Einmal dem Fehlläuten der Nachtglocke gefolgt“, schrieb weiland der schon erwähnte Franz K. am Schluss der Erzählung „Ein Landarzt“, „es ist niemals gutzumachen.“

Genauso wenig, möchte ich hinzufügen, wie das unwillkürliche Abwischen eines pelzigen Lampenschirms.