Montags: Forum! (6)
: Die Arbeit mit Menschen erlaubt keine Zwangszuweisung

Montags streitet der Norden über die Sozialreform: Gruppen unterschiedlicher Couleurs gehen gegen Hartz IV auf die Straße – heute voraussichtlich in Braunschweig, Bremen, Bremerhaven, Celle, Lübeck, Oldenburg, Peine, Perleberg, Ribnitz-Damgarten, Rostock, Schönebeck, Stralsund, Waren, Wilhelmshaven und Wismar. Aber eine Demo ist kein guter Platz fürs Argumentieren. In der taz-Nord-Serie Montags: Forum! beziehen deshalb Experten und Engagierte Stellung zum Um- oder Abbruch des Sozialstaats. Heute: Knut Fleckenstein, Geschäftsführer des Arbeiter-Samariter-Bundes, Hamburg

Über Hartz IV ist schon viel geschrieben worden. Meist massive Kritik – berechtigte, aber auch unberechtigte. Zu den unberechtigten Kritikpunkten gehört die Ablehnung der 1- und 2-Euro-Jobs. Von Unzumutbarkeit ist die Rede und von „Zwangsarbeit“. Dem liegt der alte Gedanke zugrunde, dass Arbeitslosigkeit und nicht der Arbeitslose selbst von der Gesellschaft finanziert wird. Diese problematische Grundeinstellung stellt die Forderungen an den Staat in den Mittelpunkt der Debatte.

Andere Aspekte kommen dabei zu kurz, zum Beispiel die berechtigten Forderungen von alten, behinderten und sozial an den Rand gedrängten Menschen, die unsere Gesellschaft längst nicht mehr erfüllen will beziehungsweise angeblich nicht erfüllen kann. Wohlfahrtsverbände, wie der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) in Hamburg, sind täglich mit den Sorgen dieser Menschen konfrontiert. Deshalb bringen diese Verbände eine eigene Perspektive ein: die sich ihnen bietende Möglichkeit, zusätzliche Menschen für Gemeinwohlarbeit einzustellen, die sie sonst nicht bezahlen könnten. Der ASB in Hamburg will im kommenden Jahr bis zu 100 Jobs für ALG II-Empfänger schaffen, hauptsächlich in der Betreuung Pflegebedürftiger sowie in Kinder- und Jugendeinrichtungen. Dabei geht es um zusätzliche Leistungen, oft aus dem Bereich des Zwischenmenschlichen. Die professionelle Pflege muss in der Hand der hauptamtlichen Mitarbeiter bleiben. Lohndumping findet nicht statt.

Hinzu kommt, dass Langzeitarbeitslosigkeit eben nicht nur zu finanzieller Not führt, sondern oft auch zu großer seelischer Belastung und Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls. Das Gefühl wieder gebraucht zu werden kann diesen Menschen helfen. Soziale Integration ist also ein wesentliches Ziel dieser Maßnahme. Sie muss jedoch verbunden werden mit der Möglichkeit, sich dadurch eine bessere Perspektive für dauerhafte Beschäftigung zu schaffen.

Damit diese Maßnahmen für alle Beteiligten ein Erfolg werden können, sollten einige Spielregeln eingeführt und eingehalten werden: Entscheidende Voraussetzung ist, dass die hauptamtlichen MitarbeiterInnen das Projekt mittragen. Betriebsvereinbarungen, die sicherstellen, dass bestehende Arbeitsplätze durch den Einsatz von ALG II-Empfängern nicht gefährdet werden, sind daher unabdingbar. Der Betriebsrat muss Instrumentarien an die Hand bekommen, dies überprüfen zu können. Zivildienstplätze und bürgerschaftliches Engagement dürfen ebenfalls nicht gefährdet werden. Dies ist allerdings eine rein akademische Diskussion angesichts der Fülle von Aufgaben, die zurzeit im sozialen Sektor nicht erledigt werden können.

Damit die Integration von Langzeitarbeitslosen gelingt, müssen schon zu Beginn der Maßnahme sowohl der Arbeitssuchende als auch die entsprechende Organisation darin übereinstimmen, dass die Betroffenen für die vorgesehene Arbeit in Frage kommt. Die Arbeit mit Menschen erlaubt keine Zwangszuweisung.

Während der Zeit der Zusammenarbeit muss der Arbeitgeber, in diesem Fall die Wohlfahrtsorganisation, Qualifizierungsmaßnahmen anbieten. Der ASB in Hamburg wird dafür eigene Fortbildungsmöglichkeiten nutzen und darüber hinaus mit Qualifizierungsgesellschaften zusammenarbeiten.

Leider, nur in seltenen Fällen können neue Jobs geschaffen werden. Eine Übernahme in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis ist in Teilbereichen aber möglich. So sind zirka die Hälfte der 450 MitarbeiterInnen in der Ambulanten Pflege vom Hamburger ASB angelernt worden. Bei einer relativ hohen Fluktuation gehören Neueinstellung und Qualifizierung von Personal zur Alltagsarbeit.

Bleibt die Frage, ob es genügend Menschen gibt, die bereit sind, einen solchen 1- und 2-Euro-Job anzunehmen. Den Hamburger ASB haben schon sehr viele Bewerbungen erreicht. Ein Zeichen, dass auch Arbeitsuchende diese Maßnahme als Chance begreifen.

Ob dieser neue Weg erfolgreich sein wird, liegt maßgeblich in den Händen der Agentur für Arbeit und der Kommunen, die sorgfältig überprüfen müssen, ob sich die Arbeitgeber an die Bedingungen zur Beschäftigung von ALG II-Empfängern (öffentliches Interesse, Gemeinnutz, Zusätzlichkeit) streng halten. Schwarze Schafe – und die wird es geben – müssen empfindlich bestraft werden. Geschieht dies nicht, werden die Kritiker Recht behalten, die uns schon heute ausufernden Missbrauch voraussagen. Knut Fleckenstein