In die Spitze integrieren

Wer ist das eigentlich, der Tabellenführer? Mit einem 2:1 gegen Gladbach etabliert sich erneut ein grün-weißes Team aus dem Norden ganz oben

aus Wolfsburg René Martens

„Ich sitz hier irgendwo in Wolfsburg gerade“, sagt ein Mann in sein Mobiltelefon – obwohl sein Zug gerade im Hauptbahnhof von Hannover zum Stehen gekommen ist. Seitdem der VfL Wolfsburg die Tabelle der Fußball-Bundesliga anführt, ist die Berühmtheit der Stadt offensichtlich rasant gestiegen.

In Wolfsburg selbst spielt man durchaus schon mal ironisch mit der neuen Bedeutung des Volkswagenklubs. Die „Wolfsburger Allgemeine“ etwa hat die Idee einer großen deutschen Tageszeitung adaptiert, die im Sommer, als die Republik konfus nach einem neuen DFB-Teamchef suchte, in einer Glosse jeden Tag einen vermeintlich geeigneten Kandidaten präsentierte. Das Blatt fahndet nun täglich schmunzelnd nach einem Nachfolger für den vor rund einem Monat zurückgetretenen VfL-Manager Peter Pander. Einer der Vorschläge in dieser Woche: Horst Hrubesch.

Mindestens bis Ende Oktober müssen die Kollegen noch viel Humorarbeit leisten, denn erst dann „werden wir klarer sehen, wer für den Posten in Frage kommt“. Sagt der Mann, der vorerst Panders Arbeitsbereich übernommen hat: Klaus Fuchs, der Geschäftsführer des VfL, der in der Bundesliga schon in Kaiserslautern und Karlsruhe mit Managementtätigkeiten betraut war. Der zukünftige Sportdirektor, sagt Fuchs, müsse auf eine erfolgreiche Fußballerkarriere zurückblicken: „Die Ambitionen, die wir haben, sollen mit dieser Personalentscheidung unterstrichen werden.“

Klaus Fuchs trägt eine Krawatte mit einer Golf spielenden Comicfigur drauf und wirkt gar nicht wie ein Managertyp, sondern eher wie der nette Onkel von der Barmer Ersatzkasse. Trainer Erik Gerets dagegen könnte in den Filmen Ken Loachs einen Working-Class-Hero alter Schule spielen – wie bei anderen Klubs trägt nun auch in Wolfsburg ein gegensätzliches Duo die sportliche Verantwortung.

Gerets, im April 2004 für Jürgen Röber gekommen, hat vor dieser Saison zwei Spieler geholt, die zu Schlüsselfiguren für den jetzigen Erfolg avancierten: Kevin Hofland – eine Art Ziehsohn, denn Gerets hat ihn einst beim PSV Eindhoven zum Nationalspieler geformt – und Facundo Quiroga. Die beiden Innenverteidiger, überragend im Stellungsspiel, verstanden sich von Anfang an blind.

Quiroga ist mittlerweile der fünfte Argentinier im Kader – ein nicht nur hier zu Lande einmalig hoher Anteil an Spielern aus jenem Land, das nach Brasilien das reichhaltigste Talentreservoir haben dürfte. Diese „Blockbildung“, Ergebnis einer von VW Argentina eingefädelten Kooperation mit dem argentinischen Spitzenklub River Plate, habe „zum Erfolg beigetragen“, sagt Klaus Fuchs.

Für die Eingliederung dieser Spieler hat der VfL eigens eine Kleinfirma engagiert, wofür Gerets „dankbar“ ist, weil andere Klubs die Bedeutung solcher Maßnahmen unterschätzten. „Wenn man einen Spieler aus einen anderen Kultur verpflichtet, weiß man nie, wie lange er braucht, um sich zu Hause zu fühlen“, sagt er. „Franca zum Beispiel hat in Leverkusen eine Saison gebraucht, er ist jetzt kein besserer Fußballer, aber man sieht den Unterschied.“ Gerets selbst nimmt sogar am Deutschunterricht der Argentinier teil, weil er auf diese Weise Spanisch lernen kann – obwohl der polyglotte Coach schon fünf Sprachen beherrscht.

Seitdem der VfL Wolfsburg oben steht, ziehen manche Beobachter Parallelen zum SV Werder der vergangenen Saison. Die Bremer starteten seinerzeit nach der UI-Cup-Pleite gegen Pasching durch, der VfL nun nach einem Debakel gegen Thun.

Nun haben die Grünen zum zweiten Mal die Tabellenführung mit einem 2:1-Sieg gegen Mönchengladbach verteidigt. Für das Team von Erik Gerets waren bereits in der ersten Halbzeit Andres D'Alessandro (13.) und Stefan Schnoor (43.) erfolgreich. Die auswärtsschwachen Gladbacher kamen durch das sechste Saisontor von Oliver Neuville (16.) zum zwischenzeitlichen Ausgleich. „Fußballerisch war Gladbach die bessere Mannschaft, aber wir haben kämpferisch dagegengehalten“, kommentierte Gerets den Erfolg.

Was den Wolfsburgern außerdem noch zu einem Champion fehlt, sind die entsprechenden Zuschauerkulissen, aber auf diesen Einwand reagiert man in der Autostadt mit einer Mischung und Gelassen- und Gereiztheit. Immerhin kamen gegen Gladbach 26.726 Fans – Saison-Bestmarke. Fuchs: „Ich weiß nicht, warum wir uns rechtfertigen müssen, wenn wir in einer 120.000-Einwohnerstadt zu einem Spiel gegen Kaiserslautern 18.000 Zuschauer kommen, wenn gleichzeitig Nürnberg, ein Traditionsklub mit Aufstiegseuphorie im Rücken, gegen Bielefeld nur 17.500 hat.“ Pressesprecher Kurt Rippholz ergänzt, man dürfe den Blick für das große Ganze nicht verlieren: In der Spielzeit 91/92, als dem VfL der Aufstieg von der 3. in die 2. Liga gelang, kamen 500 Fans im Schnitt, fünf Jahre später, im Jahr des Erstligaaufstiegs, 5.000. Und in der letzten Saison, der zweiten in der Volkswagen Arena, verfolgten durchschnittlich 23.000 Zuschauer die Spiele – 3.000 mehr als vorher in einem Zehn-Jahres-Plan kalkuliert.

Wer aus fremden Landen nach Wolfsburg kommt, wundert sich möglicherweise über die Allgegenwart des Sponsors und Hauptgesellschafters Volkswagen. Im „Soccer-Café“ gibt es beispielsweise eine „VW-Currybockwurst“. Aber keine Sorge: Sie wird nicht aus Autoteilen gemacht.