Aufschrei der Kellerasseln

Dieter Bohlen ist neuerdings nicht mehr so gut gelitten – selbst weniger erfolgreiche Kollegen trauen sich jetzt, ihn öffentlich zu schmähen. Nun ruft ihn auch noch Kardinal Joachim Meisner zur Beichte

„Ich mag hier die Leute, die Straßen, den Scheißregen“(Bohlen über Heimat)

von JAN FEDDERSEN

Der Blick in die Spiegel-Bestsellerliste wird ihn beruhigen. Die Fortsetzung seiner mit der Bild-Kolumnistin Katja Keßler verfassten Memoiren („Hinter den Kulissen“) steht an der Spitze. Eindeutig und vor Michael Moores holzschnitthafter Realsatire „Stupid White Men“, was angesichts der seit dem 11. September 2001 hierzulande grassierenden Amerikaverachtung eine erstaunliche Leistung ist.

Literaturfreunde mögen bedauern, dass Uwe Timms Buch „Am Beispiel meines Bruders“ erst auf Platz drei kommt – aber die sind ja ohnehin beleidigt, seit der Komponist, Arrangeur und „Superstar“-Zuchtmeister während der vorletzten Buchmesse einen Rummel entfachte, der selbst jede Antisemitismusdebatte um ein Multiples überstieg.

Bohlen hat das ja nie geschert: Die einen waren für die guten Sitten zuständig und er für die Idee des Erfolgs an und für sich. Nun allerdings droht ihm Ärger – und der begann am 4. Oktober während eines Auftritts bei „Wetten dass …?“, als ein Gast Bohlen der Belanglosigkeit zieh und außerdem seine Äußerungen zur Arbeitslosigkeit geißelte.

Bohlen hatte nämlich gemeint: „Ich verdiene gerne Geld. Wenn man auch anderen Leute vergönnen würde, dass sie viel Geld verdienen, hätten wir weniger Arbeitslose.“ Das Publikum tobte vor Empörung – es wollte sich wenigstens nicht von einem Millionär sagen lassen, dass es sich zu wenig gemüht hätte.

Zugleich muss der Furor gegen Bohlen auch ein wenig inszeniert gewesen sein, sonst stünde dessen Buch nicht in den Buchverkaufscharts ganz oben. Die Tonspur war jedenfalls hinterlegt, Bohlen gilt seither nicht mehr als Held. Nur noch schwer wollte das Publikum seine Ausfälle gegen den Exkompagnon Thomas Anders goutieren – dem er völlig zu Recht „Divenhaftitis“ und „Stinkefaulose“ während der Auflösung von Modern Talking hinterherwarf.

Da half auch kein Martin Walser mehr, der zu Bohlens Zweitwerk nur ein „wunderbar“ als Kompliment ausbrachte. Aber der Mann vom Bodensee ist ohnehin nicht aus Bohlens Welt und ihm insofern gleichgültig. Andere freilich fühlen sich nun aufgerufen, dem Lebensgefährten von Estefania Kuester so etwas wie Böses anzutun. Eva Herman sprach davon, „verletzt und verraten“ worden zu sein, weil Bohlen in seinem Buch Unhöfliches über sie sagte. Auch Drafi Deutscher, den Bohlen in seinem Erstbuch eine Neigung zu Drogenhaftigkeit attestierte, bellt nun zurück.

Frank Farian aber, Erfinder von Popprodukten wie Boney M. und Milli Vanilli, drohte gar, er werde nun selbst ein Werk schreiben, in dem nichts als Wahrheit über Bohlen stehen werde. Davon abgesehen, dass die Erfolge Farians und Deutschers („Jenseits von Eden“) länger zurückliegen und deswegen beiden so etwas wie der Sexappeal von Erfolgreichen nicht mehr so recht nachgesagt wird, kurzum, davon abgesehen, dass beide die schönsten Tage hinter sich haben, überrascht, wie hoffnungslos gleichwertig sie sich mit Bohlen fühlen: Als ob irgendein Mensch Farians „Enthüllungen“ lesen täte. Figuren wie sie seien, so ein Branchenkenner so gehässig wie aufrecht, „Kellerasseln des Pop“.

„Eine verwundete Seele, die nach Absolution schreit“ (Meisner über Bohlen)

Keine Literaturagentur würde sich für diesen Stoff interessieren – womit freilich einem frommen Mann wie Kardinal Joachim Meisner möglicherweise etwas entginge, denn auch der hat Bohlens Bücher studiert und wohl kopfschüttelnd in ihm eine „verwundete Seele“ erkannt, die nach „Absolution schreit“, wie das Nachrichtenmagazin Bunte notiert.

Wobei ja feststeht, dass kein einziges Bohlen-Lied dafür taugt, in den Kanon der „Mundorgel“ aufgenommen zu werden, wahrscheinlich selbst „You’re My Heart, You’re My Soul“ nicht.

Aber kümmert das Deutschlands einzigen Superstar? Wie sagte SPD-Fraktionsdompteur Herbert Wehner einst zu aufsässigen Unionsabgeordneten, die sich über die Sozen an der Regierung beklagten: „Die Hunde bellen, und die Karawane zieht weiter.“