Neuer Kampf ums Seelenheil

Zurück im Land der wütenden Frauen: Throwing Muses-Gründerin Kristin Hersh gastierte mit ihrem neuen Projekt 50 Feet Wave im Sendesaal von Radio Bremen

Unter den schick blondierten Haaren erhebt sich eine stahlhart klirrende Stimme

„Dieses Konzert wird sehr laut!“ So steht’s auf dem Anschlag an der Eingangstür zum Radio Bremen-Sendesaal. Das Sendesaal-Publikum stockt. Soll das Konzertwohnzimmer einmal nicht mit den sonst zu erwartenden Singer-/Songwritern und Blues-Barden empfindsam bespielt werden? „Es soll richtig zur Sache gehen“, warnt noch einmal der Moderator des von Nordwestradio und Sparkasse in Concert präsentierten Konzerts. Kaum zu glauben, als dann eine liedermachermäßig niedliche Kristin Hersh die Bühne betritt. Aber als sie ihre E-Gitarre umhängt, muss dabei irgendein Schalter umgelegt worden sein.

Der freundlich scheue Blick weicht einem starr bösen. Der eben noch lässig herumschlendernde Körper schnurrt zu kraftvoller Statur zusammen, übersetzt die Riffmechanik in zuckende Gestik. Unter den schick blondierten und edel gescheitelten Haaren erhebt sich eine stahlhart klirrende Stimme, kehlig harsch die aufheulenden Gitarren begleitend. Als würde der alte Kampf ums Seelenheil neu artikuliert.

In der ersten Sitzreihe wedeln einige Fans ihre Haare den Sitznachbarn um Nase und Ohren. Besucher, die von einem Lebensgefühl jenseits wohnzimmerlicher 40 Phon nichts wissen wollen, flüchten ins Freie. Ein aggressiver Rocksturm durchwühlt die gleichförmig fade Scheinwerferhelle des Sendesaals. Kristin Hersh, Mitbegründerin der Throwing Muses, ist diverse Liedermacherinnenalben später zurück im Land der wütenden Frauen. Die intime Intensität ihrer verletzlichen Künstlernatur übersetzt sie bei der Deutschlandpremiere ihres Sideprojekts 50 Feet Wave zurück in krachigen Neo-Punk.

Für die vokale Kurtcobainisierung hat Hersh noch einmal ordentlich an ihrer Stimme geschmiedet – auf dass sie noch bedrohlicher wirkt. Die gymnasiale Melancholie von einst weicht einer erwachsenen Melancholie, ein um Ruhe ringendes Aufbäumen gegen all die unbefriedigten Persönlichkeitsaspekte. Ebenso gereift kommen die Songstrukturen daher: reich an raffinierten Brüchen, variantenreichen Gitarrensounds und hüpfender Dynamik.

Beunruhigend aufgekratzter Überschwang führt auf unwirkliche Pfade der Selbstvergessenheit, um sofort wieder mit energischen Refrains pophymnisch hochgeschraubt zu werden. Dazu der Luxus, technisch gebildete Rhythmusmusikanten dabei zu haben: Bernard Georges agiert mit wuchtig elegantem Bass-, Rob Ahlers mit punktgenauem Schlagzeug-Spiel. Puh! Nach satten 60 Konzertminuten kann man wieder klar denken. Und Hershs all american charming smile im Gedächtnis mit nach Hause nehmen. fis