Das NOK verweigert sich

Morgen beginnt in Frankfurt der Prozess von Karen König gegen das Nationale Olympische Komitee. Das Dopingopfer kämpft um Schadenersatz für ihre Leiden, das NOK will damit nichts zu tun haben

„Wir haben oft genug die Hand ausgestreckt und gesagt: Kommt, lasst uns reden!“

von FRANK KETTERER

Den obersten deutschen Olympioniken hat Karen König bislang als äußerst unkooperativ kennen gelernt. „Völlig ungesprächig“, findet die ehemalige Weltklasseschwimmerin, sei Klaus Steinbach, der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland, kurz: NOK. „Der lehnt alles ab“, sagt die 34-Jährige. Verstehen kann Karen König das nicht. „Der war doch selbst mal Sportler und ist nicht nur Funktionär“, wendet sie ein, was heißen soll: Der müsste doch eigentlich Verständnis haben – für sie und ihre Lage. Hat er, Steinbach, nicht. Das Thema Dopingopfer steht für den Mediziner – und somit für das gesamte NOK – nach wie vor auf dem Index. Damit möchten der deutsche Herr der Ringe und seine Organisation weiterhin nichts zu tun haben.

Am morgigen Freitag wird das dem NOK nicht erspart bleiben. In Frankfurt am Main beginnt der Prozess, den Karen König gegen das NOK angestrengt hat. Als erstes Dopingopfer überhaupt will sie gerichtlich klären lassen, ob das seit 1990 gesamtdeutsche NOK Verantwortung zu übernehmen hat für das, was man ihr damals, als junge Schwimmerin, antat und worunter sie heute noch leidet. Die 31. Zivilkammer des Landgerichts wird darüber zu entscheiden haben, ob das NOK Schadenersatz an Karen König leisten muss für Schäden, die ihr durch Dopingmittel entstanden sind, damals, zu DDR-Zeiten, als sie fast noch ein Kind war und man ihr trotzdem jene blauen Pillen verabreichte. Pillen, von denen sie heute weiß, dass es sich dabei um Doping handelte.

Mit den Folgen kämpft Karen König bis heute, unter Hautveränderungen, Stimmvertiefung und Depressionen leidet die ehemalige Schwimmeuropameisterin. Und damit ist die 34-Jährige vom Schlimmsten noch verschont geblieben ist. Bei anderen Dopingopfern geht es um Bulimie, um Fehlgeburten, um Krebs. Rund 1.000 ehemalige DDR-Sportler, so schätzt es Dr. Klaus Zöllig, Vorsitzender des Vereins für Dopingopferhilfe (DOHV) im badischen Weinheim, leiden bis heute unter den Spätfolgen des DDR-Zwangsdopings; über 300 von ihnen haben kürzlich einen Antrag auf Entschädigung gemäß dem Doping-Opfer-Hilfegesetz gestellt, für das die Bundesregierung zwei Millionen Euro zu Verfügung gestellt hat.

Die Politik, das gilt es festzustellen, hat die Verantwortlichkeit für die Doping-Opfer also er- und anerkannt. Vom NOK kann man das nach wie vor nicht behaupten. „Die Schädigungen der Sportler wurden durch den Staat der DDR verursacht. Das NOK ist aber keineswegs Rechtsnachfolger des Staates DDR“, macht Günter Paul, Rechtsbeistand des NOK, die Position seines Mandanten deutlich. Genau darüber aber könnte gestritten werden. So hat das Oberlandesgericht Frankfurt bereits im Februar bei seiner Entscheidung, Karen König Prozesskostenhilfe zu gewähren, festgestellt: „Es kann geradezu als offenkundig gelten, dass auch das NOK der DDR die Anwendung unterstützender Mittel gefordert und mitgetragen … hat.“

Auf Jens Steinigen, den Rechtsanwalt Karen Königs, dürfte diese Feststellung beruhigend wirken, zumindest deutet sie ziemlich unmissverständlich an, dass der ehemalige Biathlet und seine Mandantin bei ihrer Klage den Hebel an der richtigen Stelle angesetzt haben. Ihre Argumentation: Durch die Tatsache, dass sich das westdeutsche NOK bei der Wiedervereinigung bereitwillig das Vermögen des DDR-NOK, immerhin 5,4 Millionen Mark, einverleibt hat, hat es auch dessen Verbindlichkeiten übernommen. Gesetzlich angeordnete Schuldmitübernahme nennen das die Juristen. Dass NOK-Vertreter Paul sich mit dieser Sicht der Dinge nicht anfreunden kann, liegt nur in der Natur der Dinge. „Die Sachentscheidung ist noch lange nicht gefallen“, sagt der Rechtsanwalt aus Frankfurt.

Sollte sie im Sinne von Karen König ergehen, könnte es schnell sehr teuer werden für Steinbach und sein NOK. Die Entscheidung der Frankfurter Richter wird von Klaus Zöllig jedenfalls mit Spannung herbeigesehnt. „Wir warten nur noch das Urteil ab, dann geht eine Sammelklage von 137 Dopingopfern gegen das NOK auf den Weg“, sagt der DOHV-Vorsitzende. Um „Entschädigungszahlungen in einer Größenordnung von jeweils 10.000 Euro“, so Zöllig, wird es dann gehen. Und für das NOK somit um 1,37 Millionen Euro. Dass die Dopingopfer überhaupt Gerichte anrufen müssen, um auch nur Aussicht auf eine Entschädigung von Seiten des NOK zu erhalten, unterstreicht derweil nur, mit welch betonhaftiger Sturheit Steinbach und seine Gefolgschaft das Thema negieren. Auch Klaus Zöllig hat das mehrfach erfahren müssen. „Wir haben oft genug die Hand ausgestreckt und gesagt: Kommt, lasst uns reden“, sagt der DOHV-Vorsitzende. Dass Steinbach nun behauptet, dies sei stets an Vorbedingungen verknüpft gewesen, verweist Zöllig ins Reich der Märchen.

Ähnlich wie Karen König ist auch Zöllig mittlerweile vom neuen NOK-Präsidenten enttäuscht. „Als er vor einem Jahr gewählt wurde, habe ich gedacht, da tut sich was“, sagt der Weinheimer Sportmediziner. Mittlerweile weiß er, dass er sich da doch gründlich geirrt hat, gerade was das Thema Dopingopfer angeht. „Das Klima ist rauer geworden“, hat Zöllig sogar erfahren müssen, und wo Steinbachs Vorgänger Walther Tröger zumindest Gesprächsbereitschaft signalisiert habe, herrsche nun nicht viel mehr als eisiges Schweigen. Das Letzte, was das NOK dem DOHV-Vorsitzenden mitzuteilen hatte, passte in einen Zehn-Zeilen-Brief. In diesem, so Zöllig, wurde den „angeblichen Dopingopfern“ der zynisch-fromme Wunsch zuteil, es möge ihnen gelingen, „noch den richtigen Schuldner“ ausfindig zu machen. Vielleicht gelingt es ja diesen Freitag vor dem Landgericht Frankfurt.