RECHTSPOPULISTEN SCHRECKT DIE RECHTSWIDRIGKEIT NICHT
: Fesseln und Foltern

Dass notorische Schulschwänzer im Schnitt viel mehr Straftaten begehen als ihre regelmäßig die Schulbank drückenden AltersgenossInnen, ist statistisch erwiesen. Diesen Sachverhalt im Auge, hat Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm erneut den Vorschlag lanciert, bereits straffällig gewordenen „Schulabsentisten“ elektronische Fußfesseln anzulegen, die den Behörden (der Polizei?) sofort vermelden, wenn der „schwer kriminelle Schulschwänzer“ (Schönbohm) nicht in der Schule auftaucht. Diese Idee des Ministers kann nur eine Konsequenz haben: Schönbohm muss sofort von den Fesseln seiens Amts befreit werden.

Über das Schulschwänzen einschließlich seiner oft kriminellen Folgen zerbrechen sich die Pädagogen seit Jahren den Kopf. So heißt es bei den Pädagogen Neukäter und Ricking schon 1998: „Schüler, die kaum mehr in der Lage sind, dem schulischen Geschehen Sinn abzugewinnen, suchen Wege, die täglich auftretenden Belastungsmomente kurzfristig unwirksam zu machen. Sie finden im Absentismus ein probates Mittel.“ So ist’s. Schon jetzt ist aber in den Schulgesetzen der Bundesländer von der Verhängung von Bußgeldern über Eltern über die Zwangszuführung der „Absentisten“ bis zum Schulverweis die ahndende harte Hand des Staates spürbar. Allerorts hört man vielfach die Klage, dass es an pädagogischen Mitteln fehlt, dem schulischen Frust zu begegnen, und dass stattdessen zu administrativen Maßnahmen gegriffen wird, die dazu noch wenig erfolgversprechend sind.

Schönbohms Initiative geht über diese Maßnahmen weit hinaus, sie setzt in grob rechtswidriger Weise Fußfesseln als Mittel polizeilicher Prävention ein – und dies gegenüber Minderjährigen. Ist nicht so gemeint, lässt Schönbohm verlauten: Es gehe ihm nur um eine notwendige Debatte. Hier spricht der autoritäre Populist, der Bedrohungsängste auf seine Mühle lenkt. „Ventilieren, Stimmung machen, die Meinungsgewichte verschieben“, lautet die Strategie – wie bei der jüngsten, gleichfalls unsäglichen Folterdiskussion.

CHRISTIAN SEMLER