AUSBILDUNGSZEITEN IN DER RENTE: GROSSE AUFREGUNG, KLEINES PROBLEM
: Altenheime oder Schulen

Jetzt beginnt endlich die Debatte darüber, was eigentlich künftig gesellschaftliche Priorität haben soll: die Zukunft oder die Vergangenheit, Bildung oder Rente? Sprich: Soll es uns finanziell wichtiger sein, wie fit die kommende Generation ist, oder aber wie üppig jene Generationen auszustatten sind, die ihre verdiente Altersruhe genießen? Leider ist der Anlass für den Generationenkrach der vollkommen falsche: Die Frage, ob frühe Ausbildungszeiten das spätere Ruhegeld des Einzelnen erhöhen sollen, ist an sich eine Petitesse. Nur eingefleischte Rentenfreaks greifen danach, um von der echten Alternative abzulenken: Nicht der Zustand der Rentenkassen ist das Problem – verrottende Schulen sind es, kümmerliche Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, und, Niedersachsen macht es vor, Hochschulen, die nicht gepflegt, sondern geschlossen werden.

Bislang erhalten Rentner einen Aufschlag auf ihre Bezüge, wenn sie Ausbildungszeiten geltend machen können. Damit soll künftig Schluss sein. Schul-, Fach- und Hochschulbesuch werden von den Rentenversicherern nicht mehr honoriert. Damit entfallen versicherungsfremde Privilegien gegenüber den Auszubildenden, die Rentenbeiträge zahlen. Für die Betroffenen ist diese Einbuße schlecht. Aber was, um Himmels willen, fällt denn weg? Ganze drei Jährchen können derzeit noch geltend gemacht werden. Deren Wegfall aus der Rentenberechnung, so klagen nun ausgerechnet Bildungslobbyisten, sei Signal gegen die Aneignung von Wissen. Aber glaubt jemand, niedrigere Rente halte jemand vom Studium ab? Und gibt es kein wichtigeres Problem in deutschen Lernstuben? Das Schulsystem dieses Landes etwa produziert satte zehn Prozent funktionaler Analphabeten. Und nun soll der Sozialstaat untergehen, weil ein Problem namens Bildungsrentenanwartschaft auftaucht? Das ist nicht einzusehen.

Der bundesrepublikanischen Gesellschaft steht der heikelste Teil ihrer Sozialstaatsdebatte erst noch bevor. Der nämlich, ob das Herz des Wohlfahrtsmodells die Altenheime sind oder die Schulen. Wir müssen endlich darüber reden. Weil wir sonst Junge und Alte gegeneinander ausspielen – durch Nichtstun. CHRISTIAN FÜLLER