Viel Rauch um nichts

Obwohl das WM-Duell zwischen Schach-Weltmeister Wladimir Kramnik und Peter Leko weitgehend ausgeglichen verläuft, mag so richtige Spannung bisher noch nicht aufkommen

VON HARTMUTZ METZ

Peter Leko schaute reichlich zufrieden drein. Besser als Garri Kasparow, der sich gerne als bester Schachspieler aller Zeiten sieht, hat der ungarische Großmeister bereits abgeschnitten. In der fünften Partie der Weltmeisterschaft in Brissago rang der 25-Jährige aus Szeged Titelverteidiger Wladimir Kramnik in 69 Zügen nieder. Ein schachhistorischer Moment, denn der Russe war bisher in WM-Endspielen noch ungeschlagen.

Anno 2000 hatte Kramnik seinen Landsmann Kasparow nicht nur entthront – er hatte ihn in London geradezu demontiert: Von 15 Partien hatte der alte Weltmeister keine einzige gewinnen können. Zwei Duelle waren an Kramnik gegangen, den Rest wickelte der damalige Herausforderer erbarmungslos bis zum 8,5:6,5-Gesamtsieg ins Remis ab. Frustriert wirft ihm Kasparow noch heute „Pragmatismus in Vollendung“ vor; soll heißen: fantasielos, nur auf das Endergebnis schielend.

Die bewährte Taktik schien der Champion aus Tuapse erneut umsetzen zu wollen. Deshalb passte es hervorragend in den Plan des Bildhauersohnes vom Schwarzen Meer, dass er in der ersten von maximal 14 Begegnungen in der Schweiz die Oberhand behalten hatte. In 65 Zügen manövrierte der Russe den vehement attackierenden Leko aus. Danach bewahrheiteten sich die Befürchtungen aller Schachfans, die vor dem mit einer Million Franken (645.000 Euro) dotierten Wettkampf geunkt hatten, dass es am Lago Maggiore zu einem Remis-Festival komme: Der 28-Jährige, dem ein 7:7 zur Titelverteidigung genügen würde, wickelte dreimal unbarmherzig in Unentschieden ab.

Reichlich frustrierend für Leko wie die Zuschauer vor Ort. Die Millionen im Internet können sich wenigstens leicht offline klicken. Die ins Centro Dannemann gepilgerten Besucher müssen jedoch 30 Franken (20 Euro) berappen, was für keine zwei Stunden Schach ziemlich happig ist. Vor allem, wenn, wie in der dritten Partie, die ersten 17 Züge aus der ersten Begegnung wiederholt werden, Leko dann 50 Minuten über eine andere Fortsetzung nachdenkt und nach sechs weiteren Zügen einsieht, dass nichts mehr zu erben ist. Solche Partien erinnern beim Blick auf den WM-Sponsor, den Zigarrenhersteller Dannemann, an den Titel eines Kultfilms von 1978 mit den zwei Dauerkiffern Cheech&Chong: viel Rauch um nichts.

Ein Hobbyspieler aus Baden-Württemberg schwor sich jedenfalls, nur dann in den Tessin zu pilgern, „wenn Leko Weiß hat. Die anderen Partien macht Kramnik eh schnell remis“. Der als Zollfahnder auch Zigarettenschmuggler jagende Schach-Amateur bewies den richtigen Riecher. Leko nutzte in der fünften Partie am Samstag die nächste Gelegenheit als „Aufschlagender“ mit den weißen Steinen. Kramnik wehrte sich verzweifelt und zäh. Der Sportsmann aus Ungarn bewies aber die bessere Kondition und vollstreckte nach über sechs Stunden und 69 Zügen zum 2,5:2,5-Ausgleich. (Die gestrige sechste Partie war bei Redaktionsschluss noch nicht beendet.)

Zur eigenen Verteidigung darf Kramnik nicht einmal im Centro Dannemann eine List aus alten Tagen anwenden, als nicht nur die Köpfe am Brett rauchen durften. Einer seiner Vorgänger, der deutsche Rekordweltmeister Emanuel Lasker – 27 Jahre lang Titelträger von 1894 bis 1921 –, bekam einst von einem Bewunderer teure Zigarren geschenkt. Ungerührt steckte der Freund von Albert Einstein diese in die Jackentasche und paffte seinem Kontrahenten lieber ein widerlich stinkendes Kraut ins Gesicht. Außer Lasker erwies sich auch Jefim Bogoljubow als Meister der psychologischen Kriegsführung.

Im Duell mit dem zart besaiteten Dänen Aaron Nimzowitsch legte der Vizeweltmeister demonstrativ eine riesige Zigarre neben das Brett. Aufgeregt begab sich Nimzowitsch zum Schiedsrichter. Dieser wies ihn darauf hin, dass Bogoljubow doch Nichtraucher sei. Der gebürtige Balte war dadurch allerdings kaum zu beruhigen und konterte mit seinem berühmtesten Schach-Lehrsatz: „Die Drohung ist stärker als ihre Ausführung!“ Nun droht der Weltranglistenfünfte Leko nach dem Titel zu greifen – allerdings auch mit der Absicht der Ausführung.