Happy Singers an der Waterkant

Es war der friedlichste Parteitag in 25 Jahren. Geschlossenheit hieß die Parole auf dem grünen Delegiertentreffen in Kiel. Nur wer zu kühl ist, wird bestraft

Viele fröhliche Menschen kommen auf die Bühne, alle mit demselben LiedBei den Wahlen gilt die Devise: Maximale Antipathie mit minimalen Folgen

AUS KIEL LUKAS WALLRAFF

Sage keiner, die Grünen könnten nicht mehr streiten. Schon am Samstagnachmittag, nach zwei Stunden hitziger Debatte auf dem Parteitag, wird es spannend in der Kieler Ostseehalle. Als per Handzeichen abgestimmt wird, ist unklar, wer die Mehrheit hat. Es sieht ungefähr fifty-fifty aus und es ist ernst. Es sei jetzt „so viel Herzblut geflossen“, sagt die Versammlungsleiterin, dass man die Sache ganz genau, mit Stimmzetteln klären müsse.

Herzblut? Kampfabstimmung? Es geht um die Frage, ob der Bundesvorstand in Berlin eine voll bezahlte Stelle mehr bekommt und einen „Wissensmanager“ einstellen darf. Er darf es nicht. Manches, ja manches, ist bei den Grünen eben doch noch so wie immer. Finanziell wird der Bundesvorstand kleingehalten. Da sind die Landesverbände knallhart. Solche kleinen Kraftproben sind für die Delegierten wohl nötig, damit sie nicht in der allgemeinen Harmonie ersticken. Politisch nämlich hat die Spitze so gut wie freie Hand. Die wenigen Linken, die sich mehr Mut als ein „Weiter so!“ wünschen, geben sich damit zufrieden, dass der Vorstand die Ziele Vermögenssteuer und Grundsicherung in seinen Leitantrag aufnimmt – als Forderung für irgendwann.

Ach ja, man hätte es fast vergessen: Joschka Fischer ist auch da, er wird bejubelt und bekräftigt den Glauben an den Wahlsieg 2006. Aber nötig, nein, nötig ist Fischers Anwesenheit nicht. Es läuft auch ohne ihn, zur Zeit.

Von Anfang an liegt eine „Wir-finden uns alle toll und haben uns alle lieb“-Stimmung in der Halle. „Geschlossenheit“ ist das neue grüne Zauberwort, an das sich alle halten. Am ersten Tag, in der allgemeinen politischen Debatte, fühlt man sich wie bei einem Karaoke-Wettbewerb. Nacheinander kommen viele fröhliche Menschen auf die Bühne, alle mit demselben Lied. Schnell kennt man den Refrain auswendig. Er hat vier Bestandteile. Erstens: „Weg vom Öl“. Zweitens, für die grüne Bildungspolitik: „Neun macht klug“, womit die Gemeinschaftsschule gemeint ist. Drittens, für die Bürgerversicherung: „Eine für alle.“ Fertig ist das Liedchen. Fast. Am Schluss wird noch angefügt, dass man „dieses Land nicht Merkel, Stoiber und Westerwelle überlassen“ dürfe und dass Rot-Grün auch im Jahr 2006 gewinnen wolle, könne, werde. So macht es Reinhard Bütikofer, der mit 85 Prozent der Stimmen als Chef wiedergewählt wird. So macht es auch seine neue Chefkollegin Claudia Roth, die nach zwei Jahren in ihr Amt zurückkehrt. Ohne Tränen, wohlgemerkt. Roth gibt sich offenkundig Mühe, nicht alle Klischees zu erfüllen und hält sich mit überbordenden Gefühlen zurück. Trotzdem klingt ihre Rede so, als wäre sie nie weg gewesen. Sie spricht leidenschaftlich über ihre Spezialthemen (Menschenrechte, Flüchtlingspolitik) und verteidigt nüchtern die Sozialreformen. Einen Linksruck bei den Grünen, das steht fest, wird es auch mit der Chefin Roth nicht geben. Intellektuell werden die Delegierten von ihrer Rede, nun ja, nicht überfordert. Sie freue sich über das Kompliment, „ein fröhliches Gesicht“ zu haben, sagt Roth etwa. „Aber manchmal kann's auch ganz schön bitter sein und böse gucken!“ Zum Beispiel, wenn sie an die FDP denkt, die nur über „ein Herz aus Stein“ verfüge. Auch Roth bekommt mit 77,8 Prozent ein ordentliches Ergebnis.

Echte Links-rechts-Richtungsentscheidungen stehen ohnehin nicht an. Für eine kleine Überraschung sorgt nur die 28-jährige Katja Husen, die ihren Platz im Bundesvorstand gegen ihre eigene Hamburger Landeschefin, die Hardcore-Reala Anja Hajduk, verteidigt. Husen überzeugt mit einem glänzenden Auftritt als engagierte Frauenpolitikerin. Dafür fliegt die Linke Astrid Rothe aus dem Parteirat. Wohl auch, weil sie wegen einer USA-Reihe nicht da ist.

Ihre Promis strafen die Grünen nur wohldosiert ab. Maximale Antipathie zeigen, aber mit minimalen Folgen: Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt etwa braucht vier Wahlgänge, um in den Parteirat zu kommen. Was weniger damit zu tun hat, dass sie vielen „zu schwarz-grün“ ist. Sie findet einfach keinen Draht zur Partei und wirkt auch in Kiel so kühl und distanziert wie bei Sabine Christiansen. Ex-Parteichef Fritz Kuhn dagegen sagt ein paar persönliche Worte – und wird prompt wiedergewählt.

Und dann haben sich wieder alle lieb und singen sich selbst ein „Happy Birthday“-Ständchen. Auf dem friedlichsten Parteitag in 25 Jahren. Spannend dürfte es erst in zwei Jahren wieder werden. Dann, nach der Bundestagswahl, werden die Karten neu gemischt.