Stimmt ab! Wir kümmern uns um die Details

Bei der Debatte um die Bürgerversicherung trat erst Oswald Metzger ans Mikro und bekam viel Applaus für sein Modell der Kopfpauschale – genauso viel wie Fritz Kuhn für die Kritik daran. Karl Lauterbach holte dann die Stimmen für den Vorstandsentwurf. Und die Grüne Jugend guckte in die Röhre

KIEL taz ■ Mit zwei rhetorischen Meisterstücken hat die Grünen-Spitze auf dem Kieler Parteitag dafür gesorgt, dass auch der letzte Streitpunkt sich noch zu ihren Gunsten auflöste. Sowohl der wirtschaftsnahe Exabgeordnete aus Stuttgart, Oswald Metzger, als auch die Umverteilungsfreunde von der Grünen Jugend wurden im Streit um die Ausgestaltung der Bürgerversicherung abgeputzt. Auf diese Weise setzte sich der Bundesvorstand mit seiner Linie durch, die Bürgerversicherung zum Thema des Wahlkampfs im nächsten Jahr zu machen und dabei die kleinen, aber entscheidenden Details auszuklammern.

Metzger hatte sich die Freiheit genommen, am offiziellen Gegenmodell zur Bürgerversicherung, der Kopfpauschale, festzuhalten. Sein Konzept verteidigte er in bewusster Abgrenzung zu dem der CDU-Chefin Angela Merkel und bekam viel Applaus. Schließlich hatten bis vor wenigen Monaten auch noch andere grüne Prominente die Kopfpauschale für durchaus reizvoll erklärt – insbesondere die Wirtschafts- und Finanzdamen der Fraktion, etwa Antje Hermenau, Anja Hajduk oder Christine Scheel. Sie alle erklären mittlerweile, sie hätten eine gewisse Läuterung hinter sich.

Die „Bravo“-Rufe für Metzger gestern bewiesen allerdings, dass viele Grüne die Festlegung der Parteispitze auf die Bürgerversicherung mit einkommensbezogenen statt pauschalen Beiträgen für verfrüht halten. Dann jedoch wies Exparteichef Fritz Kuhn darauf hin, dass Metzger seine Wirtschaftsexpertise in den Medien in bewusster und höhnischer Abgrenzung zur vermeintlichen Tagträumerei der Grünen verkaufe. Nun macht Metzger das immer so. Aber: „Im Interview als Kronzeuge gegen die eigene Partei“ aufzutreten, „im Saal dagegen Süßholz zu raspeln und zu behaupten, man sei ganz nah beieinander“ – das gehe nicht, rief Kuhn, und der Saal buhte Metzger aus. Er bekam für seinen Vorschlag noch nicht einmal die Anzahl erhobener Hände, die als „Achtungserfolg“ gegolten hätte.

Mindestens ein solcher Achtungserfolg wäre bis zur Abstimmung gestern Mittag der Grünen Jugend mit ihren Unterstützern, den Bundestagslinken Markus Kurth, Volker Beck und Christian Ströbele, sicher gewesen. Durchaus nervös reagierte der Bundesvorstand auf deren Ansinnen, sich mit einem grünen Modell der Bürgerversicherung auch auf eine Erhöhung des Maximalbeitrags zur Krankenkasse festzulegen. Eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze auf 5.150 Euro würde allen nützen, die bis 4.200 Euro im Monat verdienen – aber alle belasten, die mehr verdienten, hatte die Grüne Jugend ausgerechnet. Diesem Argument den Schwung zu nehmen war unter anderem der Bürgerversicherungsexperte und SPD-Berater Karl Lauterbach einbestellt worden, sein Kompetenz-Monopol im Sinne des Bundesvorstands einzusetzen. Er rechnete vor, dass die gewünschte Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze die Arbeitgeber sechs Milliarden Euro kosten würde. Die Fraktionsvorsitzende Krista Sager erklärte, eine derartige Erhöhung der Lohnnebenkosten mache die „Durchsetzung der Bürgerversicherung nicht leichter, sondern schwerer“.

Nicht jedoch der ebenso sachliche wie berechtigte Abtausch von Argumenten sollte zur Entscheidung führen. Vielmehr gelang es der NRW-Landesvorsitzenden Britta Hasselmann zu suggerieren, die Grüne Jugend habe ein akzeptables Angebot für einen Kompromiss bekommen und starrsinnig ausgeschlagen. Das Angebot hatte es nie gegeben, wie sich bald herausstellte. Sicherlich aber hatte Hasselmanns Nebelbömbchen genug Verwirrung erzeugt, dem linken Vorschlag Zustimmung zu rauben. Der Junggrünen-Chef Stephan Schilling erklärte später: „Sie hat einen falschen Eindruck erweckt.“ Ob bewusst oder unbewusst, lasse er „dahingestellt“.

Die Grünen gehen nun mit einem Modell der Bürgerversicherung in die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, das auf einen Kompromiss mit der SPD hingestrickt ist. Bis zur Bundestagswahl 2006 wird es dazu vermutlich noch weitere Festlegungen geben. Die Weichen dafür wurden am Wochenende in Kiel gestellt: Beim Umbau der Kranken- zur Bürgerversicherung sollen diejenigen zur Kasse gebeten werden, die Kapitaleinkünfte haben, nicht aber die mit den hohen Löhnen. Die Parität, die hälftige Finanzierung des Krankenkassenbeitrags durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer, zu kippen, bleibt eine greifbare, aber nicht unterstrichene Option. Die Lohnnebenkosten sinken. Auf diese Weise dürften den Grünen sowohl die Gewerkschaften als auch die Arbeitgeber gewogen bleiben – zumindest vorläufig.

ULRIKE WINKELMANN