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: Demonstranten für Schröder

Seit dem Wochenende steht nun fest, was sich schon vorher abzeichnete: Der Protest gegen Hartz IV wird vorerst Episode bleiben. Statt der erwarteten 100.000 Demonstranten, für eine bundesweite Großkundgebung schon eine bescheidene Zahl, kamen nur 45.000 Teilnehmer nach Berlin. Der Unmut hat gerade noch gereicht, um Anhänger von SPD und CDU an den zurückliegenden Wahlsonntagen von der Urne fernzuhalten. Um die Menschen in großer Zahl auf die Straße zu treiben, war er offenbar nicht groß genug.

KOMMENTAR VON RALPH BOLLMANN

Dennoch kommt den Demonstranten ein Verdienst zu, das gar nicht hoch genug einzuschätzen ist. Sie haben die größte Sozialreform in der Geschichte der Republik aus dem Halbdunkel der Bürokratie ins Licht der demokratischen Diskussion gezerrt – auch wenn dieser Prozess nun anders auszugehen scheint, als die Hartz-Gegner anfangs glaubten.

Zu Beginn der Debatte konnte das linksliberale Bildungsbürgertum noch hoffen, sich um eine klare Stellungnahme herumdrücken zu können. Man sah die Notwendigkeit von Reformen zwar irgendwie ein, schreckte aber vor den damit verbundenen Härten zurück – und flüchtete sich in die Standardfloskel, die Regierung habe „schlechtes Handwerk“ abgeliefert. Damit konnten die Meinungsführer vor allem im grünen Milieu zugleich kaschieren, dass sich ihr Interesse an Fragen von Wirtschaft und Arbeit – anders als etwa bei Frieden, Umwelt oder Menschenrechten – ohnehin in engen Grenzen hielt.

Die Proteste auf der Straße ließen solche Zweideutigkeit nicht mehr zu. Mit einer allzu simplen Anspruchshaltung an den Staat forderten viele Demonstranten den Widerspruch geradezu heraus. Mit ihrer schroffen Abgrenzung gegenüber allen aktiven Parteipolitikern eröffneten sie das Feld geltungssüchtigen Polit-Rentnern wie Gregor Gysi oder Oskar Lafontaine – und konnten nicht verhindern, dass sich Rechtsradikale in die Protestzüge einreihten.

Hinzu kam, dass die Demonstranten keine realpolitische Alternative anbieten konnten. Bei einem Regierungswechsel käme aus ihrer Sicht alles nur schlimmer. So scheint sich nach einem Sommer des Zweifelns doch die These zu bestätigen, dass nur Linksregierungen soziale Einschnitte durchsetzen können – anders als in den Niederlanden, wo am Samstag stolze 250.000 Demonstranten gegen die Reformpläne einer konservativen Regierung auf die Straße gingen.

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