Entkoffeinierter Sonderweg

Kunst ist stärker als Ideologie: Vor 75 Jahren eröffnete Ludwig Roselius sein reindeutsches Museum in der Böttcher-Straße. Zum Jubiläum präsentiert sich das problematische Juwel neu geschliffen

Ganz schön frech, das Cover: Da bekommt das Museum im Roselius-Haus erstmals einen systematischen Gemälde-Katalog – und auf dem Deckblatt prangt ein Werk, das der Sammlungsidee des Stifters Hohn spricht. Pax, also Friede, und Iustitia – Recht: So heißen die üppigen Frauen, die zart ihre Köpfe zusammen stecken. Nur ein Hauch noch trennt die aufgeworfenen Lippen; der ungemalte Kuss ist zu sehen, schon im Faltenwurf .

Geschichte: Das Roselius-Haus präsentiert nicht nur eine behutsam entrümpelte und klarer gegliederte Sammlung. Es blickt auch kritisch zurück in einer kleinen Doku-Schau zum Jubiläum. Am 13. Oktober 1928 nämlich eröffnete der Kaffe- Haag-Gründer Ludwig Roselius in der Böttcherstraße sein ganz privates Museum, präsentiert im Ambiente Typ fantasiert-historischer Wohnraum. Die Idee war neu. Sie ähnelt etwas dem Anliegen von Landschafts-Schaukästen: Gleichzeitig beginnen Zoologische Sammlungen, Präparate in Pappmachée-Natur zu setzen. Wildschweine am Waldrand im Schnee – Cranach mit Goldrahmen neben Prunkschrank. Kunst in ihrer Öko-Nische.

Roselius hatte auch etwas zu zeigen: In atemberaubender Geschwindigkeit hatte er ab 1902 eine breite Sammlung zusammen gekauft – vom Silberlöffel über den Gobelin bis zum Meisterwerk in Öl, Entstehungszeitraum: Gotik bis Rokkoko.Von daher würden „Pax und Iustitia“, um 1600 gemalt, in die Kollektion passen. Trotzdem möchte man sein linkes Ohrläppchen darauf verwetten, dass der Kunstliebhaber es weder gekauft – wann es in die Sammlung kam, ist unklar – geschweige denn geliebt hat: „Das traue ich Roselius nicht zu“, räumt auch Museumsdirektor Rainer Stamm ein.

Das liegt nicht an der latenten Homoerotik des Gemäldes: Allegorische Damen durften das. Aber der unbekannte Maler aus dem Umkreis des kaum bekannteren Hans von Aachen (1552 bis 1615) hat wohl nicht nur bei dem Kölner Meister gelernt: Sein Werk spricht mehr Italienisch, als Deutsch. Und das hätte das Reinheitsgebot des Kaffee-Entschärfers verletzt: „nur niederdeutsche Meister“ wollte Roselius 1928 in sein geklittertes Diorama der Kunstgeschichte einlassen, später erweiterte er die Sammlung auf alle Germanen. Aber ein Welscher? Pfui!

Ideologie ist unsichtbar – und ihr Geist ist verflogen. Das hat auch damit zu tun, dass im Roselius-Haus tabufrei über die Geschichte der eigenen Institution nachgedacht wird. Entscheidender aber ist, dass die ererbte eigensinnige Präsentation bewahrt wurde. Sie nämlich widerspricht dem einst wohl avisierten Eindruck einer autonomen Nord- oder nur Nationalkunst, die sich ohne Aroma-Verlust von französisch-italienischen Inhaltsstoffen reinigen ließe. Sie relativiert: Das Absolute hängt nicht an einer gelben Wand. Und es duldet keinen Prunkschrank neben sich. Was bleibt, ist eine reiche Sammlung. Sie hat einen geografischen Schwerpunkt, ein wenig Talmi. Und unverhofft viele Juwelen. Benno Schirrmeister

Roselius-Haus, täglich außer montags, 11-18 Uhr. Katalog 24 Euro