die kopftuchdebatte in berlin (teil 4)
: Seyran Ates ärgert sich über Tabus

Der Respekt vor anderen Kulturen und Religionen muss dort aufhören, wo Menschenrechte verletzt werden

Ende September entschied das Bundesverfassungsgericht, dass muslimischen Lehrerinnen das Unterrichten mit Kopftuch nur per Landesgesetz untersagt werden kann. Innensenator Ehrhart Körting (SPD) will nun per Gesetzesnovelle das Kopftuch gleich aus dem gesamten öffentlichen Dienst verbannen. Die türkischstämmige Rechtsanwältin Seyran Ates erklärt, warum sie diesen Vorstoß für begrüßenswert hält – und warum Toleranz hierzulande eher Ignoranz gleicht.

Das Bundesverfassungsgericht brachte, ob es das wollte oder nicht, zum Ausdruck, dass das Kopftuch mehr symbolisiert als nur eine religiöse Motivation. Das Karlsruher Urteil verdeutlicht vielmehr, wie groß mittlerweile seine Bedeutung als politisches Symbol ist. Vor diesem Hintergrund ist die Ignoranz des Verfassungsgerichtes geradezu erschreckend.

Senator Ehrhart Körting hat mit seinem Vorstoß, das Koptuch nicht nur im Schuldienst, sondern in Berlin landesweit auch im öffentlichen Dienst der Stadt zu verbieten, daher eine begrüßenswerte und konsequente Lösung vorgeschlagen.

Obgleich viele Aspekte der Kopftuchdebatte, so zum Beispiel die Tatsache, dass das Kopftuch der Frau im Koran gar nicht explizit behandelt wird, unter den Teppich gekehrt werden, sind viele Menschen dennoch dankbar dafür, dass der Kopftuchstreit Anlass gibt, die misslungene Integrationspolitik zu diskutieren. Sowohl mit der Kopftuchentscheidung als auch mit anderen Regelungen, zum Beispiel der, islamische Schülerinnen von Klassenfahrten, Sport- und Schwimmunterricht freizustellen, manifestiert Deutschland seine als Toleranz deklarierte Ignoranz gegenüber den realen Lebensumständen islamischer Mädchen und Frauen in diesem Lande.

Was mit solchen Diskussionen, die nun um den heißen Brei herum geführt werden, hingegen zementiert wird, ist vielmehr das Gegenteil. Geradezu verlogen ist es, einerseits zu behaupten, man wolle den Kopftuchfrauen nicht den Zugang zu akademischen Berufen und Karrieren verbauen – andererseits jedoch islamischen Mädchen tatsächlich den Zugang zu einer gleichberechtigten Bildung zu verwehren.

Ich finde, der Respekt vor anderen Kulturen und Religionen muss dort aufhören, wo Menschenrechte verletzt werden. Das Kopftuch bedeutet den islamischen Mädchen und Frauen wesentlich mehr als nur ein Stück Stoff. Es ist das in islamischen Gesellschaften ultimative, nach außen sichtbare Mittel, um die Ungleichheit von Mann und Frau zu demonstrieren. Demnach wird in Deutschland Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes regelmäßig verletzt. Damit kommt es zur absurden Allianz derjenigen, die eine tolerante Haltung gegenüber kopftuchtragenden islamischen Frauen vertreten – und islamischen Fundamentalisten.

In Berlin leben im Bundesvergleich die meisten türkischen Migranten – und damit einhergehend auch sehr viele traditionell-konservativ gesinnte aus den ländlichen Gebieten der Türkei. Die differenzierten, überintellektualisierten Debatten um den Islam und seine Ausprägungen, die von der deutschen Mehrheitsgesellschaft geführt werden, werden dem nicht immer gerecht. Dinge werden dabei nicht beim Namen genannt: Dass mit dem Kopftuch die Unterdrückung der Frau einhergeht, darf nicht gesagt werden. Kann auch nicht gesagt werden, denn keine einzige Weddinger oder Kreuzberger Frau, die zum Tragen des Kopftuchs gezwungen wird, darf dies in der Öffentlichkeit erklären. In den Medien begegnen uns nur jene Kopftuch-Frauen, die eloquent und selbstbewusst aus ihrer Überzeugung eine politische Waffe gemacht haben. Diese Fronten aufzubrechen ist die Aufgabe der Berliner Politik und Gesellschaft.

Türkische Akademiker, die aus Istanbul kommend Berlin besuchen, sind oftmals erschrocken über das konservativ-islamische Erscheinungsbild der türkischen Migranten hier. Umgekehrt ziehen liberal eingestellte türkische Eltern weg aus Kreuzberg, weil sie für ihre Kinder ein freieres Umfeld wünschen. Es kann integrationspolitisch nicht förderlich sein, diese Entwicklung nicht zu stoppen. So genannte Ausländerklassen in Teilen Neuköllns, Kreuzbergs oder Weddings, in denen tatsächlich mehrheitlich Kinder mit deutschem Pass, aber Migrantenhintergrund sitzen, sollten daher so bald wie möglich aufgelöst werden. Außerdem müssen türkische Kinder und Jugendliche sowie Kinder nicht deutscher Herkunft gleichberechtigten Zugang zu Bildung erhalten – unabhängig von ihrem religiösen Hintergrund.

SEYRAN ATES

Die Autorin wurde 1963 in Istanbul geboren und lebt seit mehr als dreißig Jahren in Deutschland. Sie arbeitet heute als Autorin und feministisch engagierte Rechtsanwältin. Morgen: Elisa Klapheck, Jüdische Gemeinde Berlin