Mehr Rechte ohne Papiere

Mehrere antirassistische Initiativen wollen heute mit Aktionen denjenigen Gehör verschaffen, die sonst als „Illegale“ kaum wahrgenommen werden. Mitleid will niemand, sondern „gleiche Rechte“

von HEIKE KLEFFNER

Sekt gibt es auf Baustellen im Regelfall nur bei der Grundsteinlegung oder bei der Fertigstellung. So weit ist der Umbau der Rathauspassagen am Alexanderplatz noch lange nicht. Aber einen prickelnden Sektempfang soll es heute dennoch geben. Die Getränke und weitere Überraschungseinlagen hat die „Gesellschaft für Legalisierung“ angekündigt. Zu der haben sich antirassistische Initiativen wie Kanak Attak, der Polnische Sozialrat, die Medizinische Flüchtlingshilfe oder das Respect-Frauennetzwerk zusammengeschlossen. Mit ihrer Tour „Wir sind unter euch“ wollen sie heute die Probleme hier in der Illegalität lebender Migranten sichtbar machen und Legalisierungsstrategien promoten.

Die Rathauspassagen, die zurzeit im Auftrag der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) ausgebaut werden, scheinen dafür ein passender Ort. Denn auf der Baustelle werden offenbar regelmäßig Migranten ohne Arbeitsgenehmigung beschäftigt – und dann um ihren Lohn betrogen. Doch die Betroffenen setzten sich zur Wehr. Nach ihren ersten Protesten im Juni gab die WBM den Druck an ihre Subunternehmer weiter. Zwanzig afrikanische Arbeiter erhielten anschließend insgesamt rund 13.500 Euro Nachzahlungen.

„Seither wurden wir von 21 weiteren Lohngeprellten von derselben Baustelle um Unterstützung gebeten“, berichtet die Flüchtlingsinitiative Brandenburg. Daraus ergebe sich ein Bild „von systematischem Lohnbetrug über einen Zeitraum von mindestens sieben Monaten“. Auf einer Postkarte werden potenzielle Lohnbetrugsopfer nun in Englisch über ihre Rechte informiert. „Die meisten wissen nicht, dass sie Lohnforderungen auch dann beim Arbeitsgericht einklagen können, wenn sie einen prekären Aufenthaltsstatus haben und ohne Arbeitsgenehmigung arbeiten.“

Für die Tour-Organisatoren macht das Beispiel der Rathauspassagen zwei wesentliche Aspekte ihrer „Offensive“ für Legalisierung deutlich. Die Arbeiter halten sich legal in Deutschland auf, sind also keine „Sans-papiers“. Aber ohne Arbeitserlaubnis sind sie der Willkür der Arbeitgeber ausgesetzt. „Die Grenzen zwischen legal und illegal werden ständig überschritten. Umso wichtiger ist es, die verschiedenen Formen von Widerstand aus den migrantischen Communities zusammenzubringen“, sagt Sandy Kaltenborn von Kanak Attak. Deshalb habe man auch den Bundeskongress von Ver.di im ICC als Auftakt für die Tour genommen. „Wir wollen die Mitgliedschaft in Gewerkschaften für illegalisierte ArbeiterInnen erstreiten“, sagt die „Arbeitsgemeinschaft für Legalisierung in Ver.di“.

Weitere Punkte der Tour (siehe Kasten) sprechen zentrale Stolpersteine für Migranten und Menschen ohne gesicherten Aufenthalt an: Der Ausschluss von jeglicher staatlichen Gesundheitsversorgung, schikanöse Behördenpraktiken und Versuche, die eigene Situation mit Hilfe von Freunden und Familienangehörigen zu verändern.

So lebt etwa die 25-jährige Kolumbianerin Isabella seit drei Jahren in Berlin. Wohnen kann sie bei ihrer Schwester, Arbeit fand sie als Reinigungsfrau in einer Putzkolonne. Dass sie keine Arbeitsgenehmigung hat, interessiert nicht. Der Lohn ist so niedrig, dass niemand dort „legal“ arbeitet. Weil Isabella Kontrollen in der U-Bahn fürchtet, fährt sie mit dem Fahrrad zur Arbeit. „Ich verhalte mich viel angepasster als alle Deutschen, die ich inzwischen kennen gelernt habe“, sagt Isabella.

Wie viele Menschen in Berlin als so genannte Illegale leben, kann niemand genau sagen. Manche Schätzungen gehen von rund 100.000 Männern, Frauen und Kindern aus. Bernd Knopf, Sprecher der Bundesbeauftragten für Integration, Marieluise Beck, sagt: „Die Gleichsetzung illegal gleich kriminell spiegelt nicht die Realität wider.“ Doch alle Vorschläge für das Zuwanderungsgesetz klammern die Gruppe der „clandestinos“ aus. Es mangele an einer politischen Mehrheit, heißt es quer durch alle Parteien.