uli becker, die stadt und trick 17 von WIGLAF DROSTE
:

Erst vor ein paar Wochen fiel mir Uli Beckers Asphalthaikusammlung „Fallende Groschen“ in die Hände, ein Bändchen, das schon 1993 bei Maro erschien, in der von Armin Abmeier herausgegebenen Reihe „Die tollen Bücher“, prachtvoll illustriert von Henning Wagenbreth. Ob mich das vor zehn Jahren gepackt hätte, vermag ich nicht zu sagen. Jetzt aber schnappte mich das Buch mit Macht. So schön huiii …! geht das los: „Um den Schlaf gebracht / bin ich sowieso, Berlin – / Augen auf und durch!“

Genau: „Auf nasser Fahrbahn / dieses Geräusch der Reifen, / gibt’s da ein Wort für?“ Fast hatte ich schon vergessen, dass ich in einer richtigen Stadt lebe; Uli Beckers Siebzehnsilber bringen Berlin auf den Punkt und schenken mir die Großstadt zurück. „Im Nachtbus oben / sind sie alle am Durchdrehn – / tippe auf Vollmond.“ So kurz kann ein Langfilm geschrieben sein, so dicht ein Plot: „Biotop für sich, / was am Taxipolster klebt: / Blut, Schweiß, wer weiß was.“ Becker zieht, schießt und trifft haargenau: „So Tiefgaragen / leben irnkwie vom Gefühl, / jetzt haben sie dich.“ Da riecht man Beton und Abgas und fühlt das Eis der Angst den Nacken abwärts rieseln. Sogar für die betbrüdernden Kollegen hat Becker ein freundliches Wort: „Was ein Christenmensch / sonntags auf dem Flohmarkt sucht? / Nähe zur Nächsten.“

61 Haiku auf dem Fuße folgt ein siebenseitiges Nachwort, ein umwerfendes Plädoyer für die kurze Form – also gegen den von Reich-Ranicki und anderen Stupidixen seit Ewigkeiten ausgeschrienen Romanterror: „Den Witz bei Schwarten habe ich persönlich nie kapiert. Paar hundert Seiten am Stück wegputzen, was soll das? Der oft beteuerte Reiz des Schmökerns, des trancehaften Seitenfressens war mir von Anfang an fremd und ist es bis heute geblieben. Dieser sprichwörtliche lange Atem linearer Erzählprosa, ach du Elend! Warum lesen die Menschen so etwas, freiwillig, lassen sich dummschwätzen von einem schamlos vor sich hin rhabarbernden Schwall? Eine Frage der Erwartungen, fürchte ich, die man ans Buch und seine Funktion hat – und da steht ganz obenan wohl der Wunsch nach Abschalten, dem mit der Fernbedienung allein nicht zu genügen ist.“

Noch kürzer hat das F. W. Bernstein in seinem Gedicht „Die bildenden Künste“ gesagt: „Wichtig ist das Kleinformat / weil’s uns was zu sagen hat. / Große Bilder zeigen / Farb und Form und schweigen.“

Die Seppel und Deppen des Betriebs haben brav ihre durch die Bank verzichtbaren Berlinromane zusammengeklempnert, wie das Feuilleton es ihnen befahl, als wollten sie Joachim Ringelnatz nachträglich bestätigen: „Berlin ist hoffnungslos abgegrast von der schlingenden niedertretenden Vielheit“, heißt es in seiner Erzählung „ …liner Roma …“, die gut 80 Jahre nach Niederschrift kein bisschen alt geworden ist: „Wer nur arbeiten wollte, Arbeit ist genug da. Das Wort ist unter friedfertigen Bürgern aktuell; es beruhigt das Gewissen und legitimiert auskömmlich eine politische Tendenz.“

So klar sieht auch Uli Becker auf Berlin: „Ach, Ost oder West – / wenn Frau Holle frisch bezieht / ist’s ein Einheitsmatsch.“ Alles drin, oder? Siebzehnsilbige Wahrheit, ist das nicht genug?