Früh hat er sich südwärts orientiert

Jonathan Richman ist ein Crooner mit Schalk. Er verweigert sich den Moden, glaubt an seine Gitarre und an die Entertainmentkräfte seines Gesichts. Am Mittwoch beglückte er das Publikum im überfüllten Festsaal Kreuzberg

Jonathan Richman. In den USA ein kleiner Star, besonders dank seines Auftritts im Film „Verrückt nach Mary“ (1998), in Deutschland immer noch nicht viel mehr als ein Geheimtipp. Dabei war der inzwischen 57-Jährige an entscheidenden Augenblicken der Popgeschichte irgendwie beteiligt: am Factory-Sound von Velvet Underground, am Präpunk rund ums New Yorker CBGB’s kurz vor dem Sündenfall 1977 (mit seiner Band, den Modern Lovers), am Einbau des Rock ’n’ Roll in den Punk, an der Erstürmung der Hitparade mit seiner Instrumentalnummer „Egyptian Reggae“ (1977), und am Aufbau des modernen College-/Indierocks („Roadrunner“) respektive Neo- oder Antifolks (alle Platten seit 1983). Gebürtig stammt Richman übrigens aus Boston.

Allerdings war es ihm auch früh daran gelegen, nicht irgendwelchen Moden folgen zu müssen. So wird sich wohl kaum ein Stück auf seinen circa fünfundzwanzig Platten finden, in dem ein Synthesizer zu hören ist; von Beatboxen, Samplern, Laptopsounds ganz zu schweigen. Stattdessen hat sich der Antimodernist Jonathan Richman früh südwärts orientiert. Seit gut zwanzig Jahren ist er nun der Crooner mit Schalk, der Mariachi mit hintergründigem Humor, der selbstironische Barde mit spanischer Gitarre und minimalem Soundgerüst.

Als solcher ist er auch im überfüllten Festsaal Kreuzberg aufgetreten. Dabei hatte er nur seine hellbraune Klampfe und einen stoffeligen Schlagzeuger namens Tommy Larkins. Was reichte. Denn Jonathan Richman ist immer noch ein Charmebolzen und ein Spaßvogel. Ein mit Mimik (Leiden, Freude, Aberwitz) gesegneter Entertainer, der behände die Gitarre drehen kann, Ausflüge ins mikrofonlose Gesangsfeld macht oder die Gitarre sein lässt, um mit dem Publikum zu sprechen. Die Songs selbst, viele von der neuen Platte „Because Her Beauty Is Raw And Wild“, einige Quotenevergreens wie „Pablo Picasso“, äußerst lässig dargebracht, wirkten stets wie hinimprovisiert. Was auch am Alter der beiden Protagonisten oder an der nicht immer klappenden Abstimmung liegen konnte – Richman verlor sich gern in unendlichen flamencohaften Soli, feuerte sich auch gern zu solchen an („Guitar!“), und wenn Text fehlte oder sonst wie eine Pause angebracht war, übernahm Tommy, der Schlagzeuger, das Solo.

Es war natürlich fast ein wenig schade, dass Richman nicht immer bei voller Stimme schien und der Mischer einige Songs brauchte, um sich auf den Sound der beiden Minimalisten einzustellen. Richman hüstelte, wandte sich gern vom Mikro ab und ließ seine Gitarre ebenfalls nur von Standmikrofonen abnehmen. Gerockt wurde nur in Ansätzen, die punkigen Stücke seines Oeuvres wurden fast sämtlich übergangen. Schade war auch, dass das Konzert eben kein Wunschkonzert war, viele alte Hits wurden nicht gespielt, was aber nur Richmans Souveränität unterstrich: Es gibt neue Platten, es gibt immer wieder welche von mir, und sie sind keinesfalls schlechter als die alten. Recht hat er. Außerdem bewies er sich als Sprachtalent: Sang immer mal wieder auf Spanisch, rückübersetzte selbst, sang einen Song auf Französisch („Le printemps des amoureux est venu“) und bedankte und entschuldigte sich auf Deutsch.

Am Ende brachte Jonathan Richman einige fortschrittsskeptische Erbauungslieder dar, Lieder gegen die Oberflächlichkeit in Liebesfragen (nach dem Motto: Wenn wir vor der Trauer fliehen, werden wir Langeweile ernten), Lieder über den Abschied von der alten Welt, ein Lied gegen Plastik, eins gegen das Mobiltelefon. Die Zeit wird freundlich darüber hinweggehen. Jonathan Richman, der alte Held, wird trotzdem in den Herzen und Ohren mindestens derer liegen, die dieses Konzert aufgesucht haben. Für lange, lange Zeit.RENÉ HAMANN