Die Auslese des schrägen Staatsrats

Hamburgs Hochschulen sollen Studierende künftig per Bewerbungsverfahren selbst aussuchen, beschließt der Senat. Für die aufwendige Auslese gibt es aber kein zusätzliches Geld. Bewerbungsgebühr im Gespräch. ASten sehen „Ausschluss-Verfahren“

Senator Dräger will „die besten Köpfe aus aller Welt nach Hamburg holen“

Von EVA WEIKERT

Alle Hamburger Hochschulen sollen künftig ihre Studierenden per Bewerbungsverfahren selbst auswählen. So will es der CDU-Senat, der gestern den Entwurf eines neuen Hochschulzulassungsgesetzes verabschiedete. Die Quote der Abiturienten, die bisher nicht nach Leistung, sondern nach Wartezeit zugelassen wurden, wird von 40 auf zehn Prozent abgesenkt. Massiv reduziert werden auch Studienplätze für soziale Härtefälle. Stattdessen sollen 90 Prozent der Bewerber ein Auswahlverfahren absolvieren. Die ASten warnen, der Uni-Zugang würde dadurch erschwert. Zudem sorgen sich die Hochschulen, wie sie ohne zusätzliches Geld die aufwendige Auslese umsetzen können.

Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos) ist überzeugt, dass sich der Studienerfolg erhöht und die Zahl der Abbrecher sinkt, wenn die Hochschulen ihre Studierenden selbst aussuchen. Bisher werden in fast allen 300 Uni-Fächern die Plätze nach Numerus clausus (NC) vergeben.

Als neue Auswahlkriterien für 90 Prozent der Bewerber sollen künftig auch Einzelnoten zählen sowie praktische Erfahrungen oder berufliches Vorwissen. „Wir wollen die besten Köpfe aus aller Welt nach Hamburg holen“, so Dräger. „Befähigung und Neigung“ für einen Studiengang, erklärt Staatsrat Roland Salchow (CDU), solle durch Auswahltests oder schriftliche Motivationsnachweise überprüft werden.

Nur noch wenige Bewerber kommen ohne Leistungsnachweis über die Wartezeit oder als „Härtefälle“ an die Uni. Dazu zählten Abiturienten, für die ein Studienplatz außerhalb Hamburgs etwa aus gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Gründen unzumutbar ist. Bisher haben die Hochschulen selbst bestimmt, wie viele Plätze sie „Härtefällen“ vorbehalten. Dräger senkt die Quote jetzt auf einheitlich fünf Prozent – an der Uni schrumpft sie damit auf ein Viertel des bisherigen Kontingents.

Wahl und Kombination der Auswahlkriterien haben die Hochschulen in Satzungen selbst zu treffen. Ausgenommen von dem neuen Gesetz ist ein halbes Dutzend Fächer, welche die Zentrale Vergabestelle (ZVS) betreut.

Die Uni begrüße den Gesetzentwurf, betonte Sprecher Peter Wiegand. Über die konkrete Umsetzung und den Start des neuen Verfahrens konnte er noch nichts sagen. Zwar hätte sie lieber eine höhere Wartezeit-Quote gesehen, aber die stärkere Autonomie bei der Auswahl „sei der richtige Weg“, sagte auch HAW-Vizechefin Ulrike Arens-Azevedo. „Um sorgfältig auszuwählen, muss man aber einen sehr hohen Aufwand betreiben.“

Um den Verwaltungsaufwand zu finanzieren, halten Dräger und auch Uni-Chef Jürgen Lüthje eine Bewerbungsgebühr für redlich. Die Hochschulen erhalten nämlich kein zusätzliches Geld vom Senat. „Mit unserem Personalbestand ist die Zulassungsstelle aber schon mit dem Status quo überfordert“, so Axel Schoeler, der das Studierendenzentrum der Uni leitet. Weil wegen des Massenandrangs von bis zu 2.000 Studierenden auf viele Studiengänge gar keine Auswahltests und -gespräche möglich sind, erwartet Schoeler eine stärkere Gewichtung von einzelnen Fächernoten im Abitur. Das fürchtet auch Studierendenvertreter Bela Rogalla: „Wer kein gutes Abi hat, findet künftig nicht mehr den Weg in die Hochschulen.“ Durch die Absenkung der Wartezeit- und Härtefallquote werde die soziale Auslese weiter vorangetrieben.

„Ich selbst wäre wohl erstes Opfer dieses Gesetzes gewesen“, räumt denn auch Staatsrat Salchow ein. Obwohl er ein Abi in Sprachen und Musik hat, brachte er es zum promovierten Physiker. Aber das Gesetz, hat der Staatsrat erkannt, „kann ja auf schräge Vögel wie mich keine Rücksicht nehmen“.