Eichel rechnet sich die Lage schön

Finanzminister räumt ein, erneut das Maastrichtkriterium zu verletzen. Trotzdem verschweige er Haushaltsrisiken, kritisiert die Opposition. Rot-Grün glaubt an leicht sinkende Arbeitslosigkeit, während Wirtschaftsforscher das Gegenteil erwarten

„Das ist ein Versuch, die Öffentlichkeit beim Haushalt zu belügen“

aus Berlin HANNES KOCH

Im kommenden Jahr wird Deutschland zum dritten Mal in Folge das Stabilitätskriterium von Maastricht verletzen. Das hat Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) gestern offiziell eingeräumt. Er äußerte sich aber optimistisch, dass der rot-grünen Regierung Strafzahlungen an Brüssel erspart bleiben.

In diesem Jahr werde das gesamtstaatliche Defizit „über 4 Prozent“ gemessen an der Wirtschaftsleistung liegen, erklärte Eichel. Der Maastrichtpakt erlaubt eigentlich nur eine Kreditaufnahme in Höhe von 3 Prozent. Damit nicht genug: Auch im kommenden Jahr, so Eichel, werde er das Defizitkriterium verletzen. Eichels großes Ziel – der ausgeglichene Bundeshaushalt ohne Schulden – ist damit vor den nächsten Bundestagswahlen nicht mehr zu schaffen.

Trotzdem hat die Regierung weder dieses noch nächstes Jahr größere Probleme aus Brüssel zu erwarten. EU-Währungskommissar Pedro Solbes erklärte, alle Länder würden gleich behandelt. Da die EU Frankreich bis 2005 Zeit gibt, sein Defizit unter 3 Prozent zu drücken, wird dieser Fahrplan auch für uns gelten.

Für die wachsenden Löcher im Staatsetat macht Eichel die schlechte Konjunktur verantwortlich. Im kommenden Jahr werde dadurch ein zusätzliches Defizit von 6 Milliarden Euro entstehen. „Das ist ein Versuch, die Öffentlichkeit zu belügen“, kommentierte CDU-Finanzexperte Dietrich Austermann. Er schätzt die „Risiken“ im Bundeshaushalt 2004 auf 20 Milliarden Euro. Austermann spielt darauf an, dass Kürzungen von Subventionen und zusätzliche Einnahmen, die Rot-Grün plant, auch der Zustimmung der Union im Bundesrat bedürfen. Verweigert sich die Opposition dem Kurs der Regierung, würde das von Eichel für 2004 geplante Defizit von rund 30 in Richtung 50 Milliarden Euro steigen – das wäre ein erneuter Negativrekord.

Um die Unionsländer unter Druck zu setzen, wies Eichel gestern darauf hin, dass deren Landeshaushalte nach der vermutlich schlechten Steuerschätzung von Anfang November überwiegend „verfassungswidrig“ sein werden: Die Kreditaufnahme würde die Summe der Investitionen überschreiten. Mit diesem Hinweis hofft der Bundesfinanzminister, seinen Länderkollegen doch noch die Zustimmung zu den rot-grünen Spar- und Kürzungsmaßnahmen abzuringen – schließlich würden dadurch auch die Länder ein paar Milliarden Euro einsparen.

Ihre Prognose für das Wachstum in diesem und im kommenden Jahr hat die Bundesregierung der niedrigen Schätzung der Wirtschaftsforscher angepasst: 0 Prozent 2003, zwischen 1,5 und 2 Prozent 2004. Während die Forschungsinstitute davon ausgehen, dass die Arbeitslosigkeit im kommenden Jahr um 50.000 Joblose steigt, nimmt Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement einen Rückgang um 30.000 an. Das klingt besser, kommt aber aufs selbe heraus: So genau lässt sich eine Vorhersage ohnehin nicht treffen.