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: Der Rekord des Japaners

Ichiro Suzuki von den Seattle Mariners hat die Basehits- Uraltbestmarke von George Sisler gebrochen. Die stammt aus dem Jahr 1920

Alles war durchinszeniert. Als Ichiro Suzuki am vergangenen Wochenende einen der ältesten, noch bestehenden Rekorde in der Geschichte des US-amerikanischen Baseballs gebrochen hatte, wurde auf der Tribüne im Stadion der Seattle Mariners ein buntes Feuerwerk in den Abendhimmel geschickt, die Zuschauer erhoben sich ehrfurchtsvoll von ihren Sitzen und feierten ausgelassen jenen Mann, der es geschafft hatte, in einer Saison mehr Basehits zu erzielen als der legendäre George Sisler. Dieser hatte im Jahre 1920 für die St. Louis Brown in einer Saison 257-mal nach einem Treffer zumindest das erste Base erreicht. 84 lange Jahre hatte es gedauert, bis dieser Rekord gebrochen wurde. Nun, im Spiel gegen die Texas Rangers, gelangen dem Japaner Ichiro Suzuki die Hits 257, 258 und 259 der laufenden Spielzeit.

Auf der riesigen Anzeigetafel war ein Fadenkreuz zu sehen und in riesigen Lettern wurde der „Ichiro Hit Count“ eingeblendet. Die Fans im Stadion jubelten dem kühlen Japaner wohl auch deshalb so frenetisch zu, weil die Seattle Mariners, für die der Outfielder antritt, bisher alles andere als erfolgreich waren. In dieser Woche starten die Playoffs. Dass sie ohne das Team aus Seattle beginnen werden, das stand schon lange fest. Die Mariners dümpelten von Anfang an ganz weit unten in den Rankings herum. Immerhin: Durch den Hitrekord von Suzuki ist die Saison für die Mariners-Anhänger nun doch noch mit einem Erfolgserlebnis zu Ende gegangen.

Ganz groß wurde die anschließende Feier aufgezogen. Die Familie des abgelösten Rekordhalters wurde eingeflogen und durfte noch einmal das Gedenken an den legendären Ahnen in schwulstigen Worten aufleben lassen. Frances Sisler-Drochelman, die mittlerweile 81-jährige Tochter des Altrekordhalters, schwärmte von den menschlichen Vorzügen ihres Vaters und musste dabei zugeben, dass sie sich als einziges Mädchen unter den vier Sisler-Zöglingen für Baseball eigentlich gar nicht interessiert habe. Dafür erinnere sie sich an ihren Vater vor allem als großen Gentleman, er sei schließlich nicht umsonst „Gentleman George“ genannt worden. Vom Japaner Suzuki, so gab sie weiter kund, habe sie gehört, dass er ein ebensolcher Ehrenmann sei. Huldvoll nahm sie die Verbeugung Suzukis entgegen, der sich nach seinem Rekordschlag zur Sisler-Loge gewandt hatte. Und der Sisler-Enkel Ric sagte, was eigentlich immer gesagt wird, wenn ein ehemaliger Rekordhalter – oder wie in diesem Fall ein Angehöriger desselben – auf die neue Bestmarke angesprochen wird: „Rekorde sind dazu da, gebrochen zu werden.“

Die Feierlichkeiten gingen freilich fast ebenso schnell zu Ende wie die Saison für den neuen Rekordmann. Im letzten Spiel der regulären Spielzeit gelang Suzuki, wieder gegen die Texas Rangers, noch der 262. Hit, der nun als neuer Rekord in die Geschichte eingehen wird. Nun aber beginnen die Playoffs, und die großen Geschichten des Jahres werden ohne die Erwähnung von Ichiro Suzuki geschrieben werden müssen. Dabei ist durchaus erstaunlich, was der Japaner vollbracht hat. Vor allem seine Art, die Bälle zu schlagen, verwundert die Fachwelt immer wieder. Er hat eine ganz eigene Technik mitgebracht aus seinem Heimatland, wo er schon lange vor 2001, dem Jahr, in dem er in die MLB gewechselt ist, ein Superstar war. Greg Walker, Schlagtrainer der Chicago White Sox, spricht von einer unorthodoxen Technik und bezeichnet Suzuki als Naturtalent mit einer „erstaunlichen Auge-Hand-Koordination“, außerdem sei er ein guter Läufer. Auch Barry Bonds, mit aktuell 703 Homeruns der drittbeste Slugger aller Zeiten in der MLB, hält viel vom Japaner. Er findet es schade, das Suzuki erst so spät in die MLB gewechselt sei, und vergleicht ihn sogar mit Pete Rose, der in seiner Karriere für die Cincinnati Reds und die Philadelphia Phillies unerreichte 4.256 Basehits erzielen konnte. Suziki habe für seine 912 Hits vier Jahre benötigt, Rose für seinen Rekord satte 24 Jahre. Deshalb steht für Bonds fest, dass Ichiro einer der besten Spieler der Welt ist.

Dennoch hält sich die Begeisterung über den neuen Rekordmann in Grenzen. Er habe nur acht und damit zu wenig Homeruns erzielt, mäkeln die einen. Die anderen bemängeln, dass seine Schläge zu selten spielentscheidend seien. Das sei auch der Grund, warum die Pitcher ihn so oft zum Schlagen kommen ließen. Der dritte Grund liegt schlicht und ergreifend an seiner Herkunft. Ichiro, dem in seiner Heimat Verehrung Beckham’schen Ausmaßes entgegenschlagen soll, ist eben kein Amerikaner. ANDREAS RÜTTENAUER