Aufgänge, Untergänge

Buchmessern (2): Der große Dieter Forte und das Problem mit dem Willen zur Macht

Es waren starke, weise Worte, die Dieter Forte gebrauchte, als er sich vor vier Jahren mit dem Spiegel-Redakteur Volker Hage für dessen Buch „Zeugen der Zerstörung“ über seine Schwierigkeiten mit der literarischen Verarbeitung von Kriegs- und Nachkriegserlebnissen unterhielt. Angesprochen auf die von ihm geäußerte „große Vertrautheit“ mit den Bildern der Ruinen im tschetschenischen Grosny, die seinerzeit täglich über die Fernsehschirme flimmerten, Bildern, die ihm seiner Kriegserfahrungen wegen vertrauter erschienen als die in Gold und Marmor getauchte Düsseldorfer Königsallee, orakelte Forte, dass die westdeutsche Nachkriegsrepublik sich bald auflösen würde: „Der Bauch des Herrn Kohl ist für mich so ein Wahrzeichen der Bonner Republik, mit seinem Verschwinden verschwinden auch die ganzen Strukturen.“ Und fuhr fort: „Auch die Literatur der Zeit wird untergehen wie die Titanic.“

Nun dürfte das eine im Zuge des New-Economy-Crashs sowie Hartz IV und den Folgen schneller eintreten, als Forte damals ahnte. Die Literatur der Nachkriegszeit und der Bundesrepublik allerdings, einen Walser, Grass, Böll oder die gesamte Gruppe 47, hat noch keiner versucht vom Sockel zu heben. Es mag Verletztheit in Fortes Worten in Bezug auf die Wertigkeit der Nachkriegsliteratur liegen – trotz seiner Trilogie „Das Haus auf meinen Schultern“ ist er ein immer noch eher verkannter Autor. Mit seinem neuen Roman „Auf der anderen Seite der Welt“, einem düsteren Zeitroman und Abgesang auf die Fünfzigerjahre, hat Forte jedoch alles getan und alles richtig gemacht, um den Rang der Genannten zu erreichen.

Selbst wenn es dafür Zeit brauchen sollte, wenn erst in vielen Jahren erkannt wird, dass „Auf der anderen Seite der Welt“ auf Augenhöhe mit der „Blechtrommel“ und schon lange mit einem Roman wie „Ehen in Philippsburg“ ist, und in diesem Roman das Wirtschaftswunderland Deutschland und seine psychischen Deformationen genauso präzise, wenn nicht besser beschrieben sind – zumindest für diesen Herbst müsste der fast 70-jährige Forte mit seinem herausragenden Roman einer der großen Stars dieser Buchmesse sein.

Stardom und Gewichtigkeit aber, auch politische, wollen erarbeitet sein, wollen repräsentiert werden, der Wille zum Großschriftsteller muss vorhanden sein, so wie seinerzeit bei den 47ern oder heute noch Grass und Walser. Daran mangelt es Forte, nicht zuletzt seiner angeschlagenen Gesundheit wegen, genauso wie Wilhelm Genazino, Ralf Rothmann, Bodo Kirchhoff oder wie all die heißen, die unabhängig von literarischen Moden langsam in große Fußstapfen treten und dabei sind, richtige Werke zu schaffen.

Wie auch immer: Fortes Roman, der Trend des neuen Geschichtsbewusstseins, die Schwierigkeiten oder Unlust, Günter Grass oder Martin Walser zu werden – all das passt gut zu einer Buchmesse, die von ihrem Direktor Neumann als „konzentrierte Arbeitsmesse“ beschrieben wird und deren Schwerpunkt im Verbessern der Kommunikation zwischen Orient und Okzident liegt, Stichwort arabische Länder. Und die anders als in den Jahren zuvor ohne Bohlens, Naddels oder Muhammed Alis auskommen muss. Auch dieses Jahr sind wieder Sport- oder Fernsehpromis mit ihren Biografien dabei, Jan Ullrich etwa, Franzi van Almsick oder Giovanne Elber. Doch ist das schon die B-, wenn nicht gar C-Klasse, die kaum einen Schnitt machen wird gegen den Franzen-Book-A-Like Chang-Rae-Lee, gegen Amos Oz oder gegen Viktor Pelewin, um nur einige ausländische Starautoren zu nennen. Was nicht das Schlechteste ist, was der diesjährigen Frankfurter Buchmesse passieren kann. GERRIT BARTELS