Deutlich sichtbar: Arm und Reich

betr.: „Kaufhäuser vor dem Aus“, taz vom 29. 9. 04, u. a.

Es ist schon mehr als merkwürdig, was sich da so tut in vielen Städten und so auch in unserer Stadt: Ein Konzern kündigt die Schließung von unrentablen Häusern und die Entlassung von tausenden MitarbeiterInnen an, weil zu wenig Umsatz gemacht würde.

Andererseits betreiben diese Konzerne die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten: Verkäufe rund um die Uhr – möglichst auch noch sonntags. Überall werden die Preise im Teuroland weiterhin nach oben getrieben: siehe nicht nur die Benzin-, sondern wohl auch die Energiepreise für Strom, Gas und Öl. Zukunft Deutschland! Flanierende Menschen in den Einkaufsstraßen mitten in der Nacht: nur die Masse kauft nichts. Endlich ist es so weit: neue abendländische Kultur mit Einkaufszeiten rund um die Uhr. Ein paar Vielverdienende in Begleitung verarmter neugieriger Zuschauer. Endlich wieder deutlich sichtbar: Arm & Reich. Auch in unserer Stadt treten einige wenige, geldsackschwer, die wenigen noch glimmenden Flämmchen aus. […] PAUL BAUMANN, Gelsenkirchen

Ursprünglich war der große Vorteil von Kaufhäusern ja auch die Zeitersparnis: die ganze Einkaufsliste unter einem Dach erledigen können. Wenn man aber heute auf die Frage nach einer Hose in einer bestimmten Größe nur eine weitschweifige Armbewegung und „da ist auf allen Ständern was dabei“ zur Antwort bekommt, verbringt man Stunden schildchensuchend in dem Laden.

Und das ist so gewollt: „Je länger ein Kunde im Kaufhaus weilt, desto mehr kauft er“, heißt das Motto. Dieses Konzept geht aber nicht auf: Bei Zeitmangel gibt der Kunde seine Suche immer wieder frustriert auf oder kauft ungeliebte Kompromisse. Wenn dann noch klar ist, dass man die Ware nächstes Jahr sowieso nicht mehr tragen/benutzen kann (Qualität, Farbe, Schnitt – eben alles, was ein Produkt möglichst kurzlebig macht), und die Verkaufskräfte die Käufer entweder nur dulden oder mit geschultem Dauerlächeln abfertigen, schieben viele den Einkauf doch so lange wie möglich vor sich her. Die Zielgruppe, auf die sich alles konzentriert: Leute mit viel Zeit, die eigentlich nichts brauchen, aber sich leicht zum Kauf motivieren lassen. Der Haken: die haben meist nicht besonders viel Geld.

ULRIKE NEHLS, Reutlingen