Kultusminister: Alle zurück auf 1948

Niedersachsen kündigt den KMK-Vertrag. Der Ausstieg verschafft dem Landesfürsten Wulff den Ruf des Furchtlosen – und den Schulreformern Ärger. Sie müssen sich nun den Kopf über Bürokratie zerbrechen, anstatt die Schulen besser machen zu können

AUS BERLIN CHRISTIAN FÜLLER

Der Ton der GEW klang gewohnt schrill. Aber so Unrecht haben die Frankfurter Bildungsgewerkschafter wohl nicht. „Ministerpräsident Christian Wulff hat die Bildungspolitik ins 19. Jahrhundert zurückkatapultiert“, ließ Gewerkschaftschefin Eva-Maria Stange mitteilen, nachdem Wulff (CDU) und sein Kabinett gestern den Vertrag der Kultusministerkonferenz gekündigt hatte.

Was Stange meint, wurde im Laufe des Nachmittags deutlich: Die Kultusminister sind nun vollauf damit beschäftigt, ihre Fürstentümer in einer Bürokratie- und Zuständigkeitsdebatte abzusichern. Um Schüler oder ums Lernen geht es nicht mehr. In der Bildungspolitik findet ab sofort nurmehr Mängelverwaltung statt.

Die Kultusministerkonferenz (KMK) ist die älteste deutsche Länder-Fachministerkonferenz. Ihr Zweck ist eigentlich, in der föderal organisierten Republik zwischen den Ländern „ein Mindestmaß an Gemeinsamkeit und Vergleichbarkeit zu organisieren“. Doch damit dürfte nun für rund eineinhalb Jahre Schluss sein. Ende 2005 läuft mit der Kündigung das Abkommen für das Sekretariat ab. Sämtliche Abkommen würden dadurch ihre Gültigkeit verlieren. Damit wäre alles zurück auf Anfang – Status Februar 1948.

Die Ergebnisse der neuen Pisa-Mathematikstudie 2003 kann Wulff getrost um seinen Hannoverschen Kirchturm herum diskutieren. Überregional geht’s nun um das, was die Unionsminister bei den Schulen so peinlich gemieden haben: Fragen von Form und Struktur.

Die bislang zurückhaltende Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Doris Ahnen (SPD), hat die Aktion prompt scharf kritisiert. „Genau das war meine Sorge, dass die Kultusminister über die Kündigung gezwungen sind, sich zu viel mit sich selbst befassen zu müssen“, sagte Ahnen der taz. „Wir werden nun durch technokratische Fragen aufgehalten. Die wichtigen Bildungsstandards oder die anstehende pädagogische Fundierung des Lehrerstudiums drohen in den Hintergrund zu treten.“

Die Nachlässigkeit der KMK, die Lehrerbildung für die ganze Bundesrepublik neu zu ordnen, könnte sich nun zu einer kleinen Katastrophe entwickeln. Rund 74.000 NeulehrerInnen sollten die überalterten und demotivierten Teile der Lehrerschaft ersetzen. Doch ob die für November anstehenden KMK-Abstimmungen nun noch zustande kommen, steht in den Sternen.

Was Wulff an der KMK so verabscheute – Ineffizienz, Bürokratismus, Langatmigkeit – wendet er postwendend selbst an. Er gibt in einer langen, ausführlichen Liste seine Vorstellungen darüber bekannt, welche der über 30 KMK-Gremien überleben sollen und wie man das Einstimmigkeitsprinzip abschwächen könnte. Auf Vorschläge anderer Kultusminister antwortete er dagegen eher sybillinisch. „Eine Gewichtung der Stimmen in der KMK nach Bundesratsschlüssel kann man durchaus diskutieren“, kommentierte er einen entsprechenden Vorschlag des Wissenschaftsministers Bayerns, Thomas Goppel (CSU). Es müsse sorgfältig geprüft werden, meinte Wulff gegenüber der taz.

KMK-Präsidentin Ahnen winkte mit dem Zaunpfahl. Man müsse sich künftig wohl auf Grundsatzentscheidungen konzentrieren, die nicht zuletzt durch die Detailwut aus Niedersachsen konterkariert wurden. Erstes Opfer unter dem Kleingedruckten könnten das Hamburger Abkommen über die Schulabschlüsse sein, das unter anderem penibel vorschreibt, dass es Gemeinschaftsschulen nach finnischem Vorbild nicht geben darf. „Wenn’s da Probleme gibt“, so Ahnen, „müssen wir das halt auf die Tagesordnung nehmen.“

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