Flieg, Vogel, flieg

Es ist wieder so weit: Zugvögel auf ihrer langen Reise von Nord nach Süd künden vom nahenden Winter. Was viele melancholisch stimmt, macht Hobby-Ornithologen glücklich: lauter seltene Vögel

Regelmäßig liest Monika Siems den Wetterbericht aus Russland. Wenn es in Sibirien so richtig klirrend kalt wird, brechen für die 55-Jährige die aufregenden Tage an. Dann stiefelt die Bremerin mit Fernglas in die Wiesen und hält Ausschau: Nach seltenen Zugvögeln, die sich für einige Monate hier niederlassen oder über die Stadt hinwegfliegen, vielleicht einen Zwischenstopp am Unisee oder im Blockland einlegen. „Je kälter es wird, desto spannender ist die Beobachtung.“

Seit Jahrhunderten beobachten die Menschen fasziniert den Zug der Vögel in den Süden, rätseln immer noch darüber, wie sie ihren Weg finden, woran sie sich orientieren. Auch Monika Siems kann nie vorhersagen, wann welche Tiere vorbeikommen werden – obwohl sie seit 20 Jahren in ihrer Freizeit dem Federvieh nachstellt und auch Neulinge in die Kunst der Vogelbeobachtung einweiht. Erste Regel für Hobby-Ornithologen: Genau Hinsehen. Denn manchmal entpuppt sich ein vermeintlich gewöhnliches Exemplar als kleine ornithologische Sensation.

So winkt Monika Siems zunächst ab, als zwei Schwäne auf dem Kuhgrabensee landen. „Das sind nur Höckerschwäne, in fast jedem Park zu sehen.“ Doch als sie ein paar Minuten später zufällig noch einmal das Fernglas auf die beiden richtet, juchzt sie begeistert auf: „Das sind Zwergschwäne!“ Sie erklärt ihre Begeisterung: „Die kommen aus Island zum Überwintern her, aber eigentlich erst viel später.“ Den kleinen, aber feinen Unterschied zum ordinären Parkschwan – ein gelber Fleck auf dem ansonsten schwarzen Schnabel – konnte Siems erst spät erkennen, weil die Schwäne lange Zeit tauchend mit Kopf und Schnabel unter Wasser steckten.

„Eine Formation!“, ruft Siems plötzlich. Ein imposantes V aus unzähligen Vögeln erscheint auf dem blauen Himmel. Dumpf ertönt etwas, das wie „ajak, ajak“ klingt. Durch das Fernglas sind dunkle Vögel mit weißen Bäuchen zu erkennen. Die Kennerin braucht nicht lange, um die Diagnose zu stellen: „Blässgänse, ungefähr 150“. Mit dem Arm zieht sie die Flugrichtung der Gänse nach und schaut auf ihren Kompass: Die Vögel sind unterwegs in Richtung Südwesten. „Ein Wanderflug über eine lange Strecke“, sagt Siems. Und erklärt, dass Zugvögel bis zu 3.300 Kilometer ohne Zwischenstopp zurücklegen können. Das entspricht bei Windstille einem 35 Stunden-Flug mit mehr als 250.000 Flügelschlägen. Varinia Bernau

Vögel beobachten: Nächster Termin Sonntag, 26.10., 9 Uhr, Treffpunkt Schwanenteich im Bürgerpark. Infos: BUND, ☎ 79 00 20