AUSSTELLUNG
: Der weibliche Blick aufs Milieu

Der moderne Künstler ist ein Flaneur. Er muss raus aus dem Atelier, sich mit der Menge vermählen und die Welt sehen, schrieb Charles Baudelaire 1863 in seinem Essay „Le Peintre de la Vie Moderne“. Viele taten es, flanierten durch die Straßen, hinein in Bars und Nachtclubs und hinaus aus dem bürgerlichen Moralgebäude. Im Bonner August-Macke-Haus ist der seltene Blick der „Femme Flaneur“ zu sehen. Selten, weil Autoren wie Baudelaire und Walter Benjamin, die den Flaneur-Begriff prägten, bevorzugt über malende wie schreibende Herren nachdachten.

Aber die moderne Großstadtmalerei ist keine männliche Errungenschaft. Für Frauen war es im 19. Jahrhundert zwar schwierig, das Straßen- und Kneipenmilieu alleine zu erkunden, da umgehend die Sittenpolizei zur Stelle war. Doch im frühen 20. Jahrhundert wagten sich auch Künstlerinnen ins Milieu der Tänzerinnen, Prostituierten und Transvestiten. Elfriede Lohse-Wächtler etwa verkehrte in den Amüsierbetrieben St. Paulis. Ihre Arbeiten entstanden meist vor Ort. Beschönigt hat sie dabei nichts. Sie fing Momente ein, die männliche Kollegen mit ihrer Faszination für das Gewerbe gerne übersahen. „Das Gelage“ zeigt eine nackte Frau, die die Begehrlichkeiten dreier Betrunkener angeekelt über sich ergehen lässt.

Hurenromantik vermitteln die zehn vorgestellten Künstlerinnen nie. Die rund 70 Bilder erzählen aber auch von den glamourösen Seiten der rauschenden zwanziger Jahre. Lou Albert-Lasard malte Josephine Baker gleich dreimal in dem Bild „Revue Negré“, tanzend, schauspielernd und schließlich leise von der Bühne verschwindend. Das eindrucksvollste Gemälde ist Ida Gerhardis erfahrene „Chanteuse“, die den Ausstellungsraum mit souveränem Lächeln überblickt. Ihr ist das Leben in all seinen Facetten anzusehen.

In der Ausstellung fehlt eine direkte Vergleichsmöglichkeit mit Bildern der männlichen Kollegen. Der Katalog berücksichtigt aber erfreulicherweise Werke von Zeitgenossen wie Otto Dix oder Richard Ziegler. Ebenfalls enthalten ist ein aufschlussreicher Text über den „flanierten weiblichen Blick in der Literatur“.

BORIS HÄNßLER

„Femme Flaneur – Zwischen Boulevard und Sperrbezirk“: August-Macke-Haus Bonn, Bornheimer Str. 96, bis 12.12., Di-Fr 14.30-18 Uhr, Sa und So 11-17 Uhr