„Die PDS ist geradezu reaktionär geworden“, sagt Wolfgang Engler

Überaltert, ratlos, vergangenheitsfixiert: Warum der PDS der Spagat zwischen Regieren und Opponieren nicht glückt

taz: Reden wir noch im Präsens oder schon in der Vergangenheit über die PDS?

Wolfgang Engler: Vielleicht beides. Es gibt sie noch, als politisches Projekt wirkt sie erschöpft.

Die PDS debattiert in Chemnitz ein neues Programm. Ist das nur ein Nebenschauplatz?

Nein, das Programm ist wichtig – oder könnte es sein. Die PDS müsste einen Spagat vollbringen – nämlich einerseits Regierungsverantwortung übernehmen, mit allen Zwängen, die dazugehören, und gleichzeitig eine Alternative zum System verkörpern. Das Drama scheint mir, dass die PDS nicht in der Lage ist, diesen Spagat zumindest ernsthaft zu probieren. Die Grünen haben diesen Spagat in ihren besseren Zeiten geschafft: Da gab es Leute, die pragmatisch Politik machten und gleichzeitig einen Horizont eröffneten, der über das Gegebene hinauswies.

Und der PDS fehlt das Ziel?

Ja. Es fehlt die Antwort auf die Frage nach dem Wozu der Politik des geringeren Übels. Zwischen Mitregieren und Mobilisieren klafft eine Lücke.

Taugt der Leitantrag, um diese Lücke zu füllen?

Nein. Finanzmärkte kontrollieren, Umverteilung der Arbeit, soziale Grundsicherung – all das geht nicht über das hinaus, was Gewerkschaften, SPD-Linke oder manche in der Union fordern. Die PDS ist ganz einfach zu brav und, wie sich beim Thema Arbeitsgesellschaft zeigt, auch viel zu wenig durchdacht.

Warum?

Satz eins der Reformalternative der PDS lautet: „Arbeit bleibt wichtigste Voraussetzung für gesellschaftlichen Reichtum und soziale Integration.“ In der Erklärung zu der großen Demonstration am 1. November, die die PDS ja unterstützt, schreiben ein paar hellere PDS-Köpfe, dass Bismarcks Zeiten vorbei sind, dass der Zusammenhang zwischen der Zahl der Arbeiter und der Wertschöpfung sich seither sehr gelockert hat und weiter lockert.

Das sind zwei entgegengesetzte Denkpfade. Der erste fällt noch hinter Marx zurück, der zwischen Arbeit und Produktion unterschied und voraussah, dass der Faktor Arbeit in der Reichtumsschöpfung an Bedeutung verliert. Doch die PDS träumt weiter von einer Rückkehr zur Vollerwerbsgesellschaft. Das ist geradezu reaktionär.

Die PDS will also nicht wahrhaben, dass sich gerade der Osten ins Jenseits der Arbeitsgesellschaft bewegt?

Ja, exakt. Und deshalb ist sie auch unfähig, anzugeben, wohin die Reise gehen soll, und eine produktive Spannung zwischen Realpolitik und Utopie herzustellen. Das geht nicht, wenn man sich nach Bismarck zurücksehnt. Wer den Menschen und Bürger durch den Arbeiter definiert, begreift weder die Herausforderungen noch die Chancen, die mit der Freisetzung von Millionen von Menschen aus dem Arbeitsprozess einhergehen.

Die Krise der PDS begann, als sie 2002 aus dem Bundestag flog. Seitdem ist ihre Schwäche offenkundig: überaltert, unoriginell, ohne Führungsfiguren.

Für die Masse ihrer Mitglieder, die aus der SED kamen, war die PDS eine Möglichkeit, in den neuen Verhältnissen aktiv und selbstbewusst anzukommen. Voraussetzung dafür war ein stillschweigender Konsens: Gregor Gysi & Co. übernahmen die Außendarstellung, die alten Genossen die Basisarbeit. Das hat lange funktioniert. Nach der Wahlniederlage brachen die Konflikte, die die „Arbeitsteilung“ stillgestellt hatte, auf.

Die Strategen in den SPD- und CDU-Parteizentralen hatten also doch Recht: Die PDS ist nur ein Übergangsphänomen?

Offenbar. Wir haben uns getäuscht. 2001, als die PDS in Ostberlin 50 Prozent bekam, schien das Double – Volkspartei im Osten, Protestpartei im Westen – greifbar nah. Das war eine optische Täuschung. Der Erfolg hat verdeckt, wie leer, wie ausgehöhlt die Partei war.

Gab es eine falschen Weichenstellung? Wäre es Mitte der 90er möglich gewesen, das Debakel zu verhindern? War der zu frühe Abtritt von Gysi und Bisky schuld? Gaby Zimmer?

Schwer zu sagen. Vielleicht lag der Grundfehler in 1989/90. Vielleicht hätte man dort einen harten Schnitt wagen sollen und das Projekt, klein, aber fein, mit wenigen, aber geistig beweglichen Leuten riskieren sollen. Vielleicht wäre das Ganze dann sofort untergegangen. Aber kluge PDS-Leute kommen stets auf 1989 zu sprechen, wenn man sie nach der Krise fragt.

Ist Lothar Bisky ein Teil der Krise – oder eher die Lösung?

Jetzt ist er ein Krisensymptom; derselbe Mann auf derselben Position, nur diesmal mit entgegengesetzter Aufgabe: den Fall wenigstens zu bremsen.

Die PDS hat ja vom Ost-West-Gegensatz gelebt. Warum funktioniert das nicht mehr?

Die PDS konnte den Ost-West-Gegensatz so lange für sich arbeiten lassen und Sprachrohr vieler Ostdeutscher sein, solange sie die Verhältnisse von außen skandalisieren konnte. Das ist schwerer, seit sie an der Macht teilhat.

Parallel zum Niedergang der PDS ist die Ostalgie – via TV-DDR-Show – Teil der Popkultur geworden. Ist das Zufall?

Interessant ist, dass die PDS dabei nicht vorkommt. Ihr wurde ja immer Ostalgie vorgeworfen. Jetzt, wo auf allen Kanälen Ostalgie bedient wird, steht sie unbeachtet am Rande. So viel DDR war nie, medial inszeniert. In diesen Shows wird ja eine Leiche vermarktet. Was die PDS an Erfahrungen politisch nicht zum Leben erwecken konnte, wird nun als Aas kommerziell zweitverwertet. Eine traurige Ironie.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE